Die Weißkopfgeier

Elisabeth Adensamer

by Elisabeth Adensamer

Story

Für Mathis:

Diese Geschichte beginnt gleich mit einem Versprechen von meiner Seite. Sobald ihr wieder zu den Großeltern nach Salzburg dürft und ich hoffe, dass das recht bald ist, werden wir gemeinsam den Tiergarten Hellbrunn besuchen. Lisa und Mina kennen ihn schon gut.

Den Tiergarten gibt es schon sehr lange, ca. 400 Jahre. Damals herrschte der Erzbischof Markus Sittikus und der hat sich im Süden der Stadt ein Schloss bauen lassen. Weil man zu diesen Zeiten auch gerne auf die Jagd gegangen ist, hat er neben dem Schloss Hellbrunn einen großen Park zum Jagen angelegt.

Darf man heute im Tiergarten auch schnell einmal ein Tier herausschießen? Natürlich nicht. Der Tiergarten hat die Aufgabe, den Menschen aus der Nähe zu zeigen, wie die Tiere ausschauen.

Mit den Weißkopfgeiern von Salzburg ist das eine eigene Geschichte. Ihr wart alle schon im Tiergarten Schönbrunn in Wien. Dort gibt es auch Weißkopfgeier. Aber wißt ihr, wie die untergebracht sind? In einem großen Käfig.

In Salzburg ist etwas gelungen, was es glaube ich, sonst nirgends gibt. Die Weißkopfgeier haben an einem bestimmten Platz im Tiergarten eine fixe Fressstelle. Alle zwei Tage gibt es da Futter für die Weißkopfgeier. Wenn sie mit dem Fressen fertig sind, marschieren sie einen kleinen Hügel hinauf, den Geierhügel, und nutzen dort den warmen Aufwind und starten Richtung Untersberg und Hohen Göll. Eines von diesen Weibchen ist Gundula, ein 20jähriger Weißkopfgeier. Sie war früher in einem Käfig eingesperrt und hatte dann das Glück, nach Salzburg zu kommen. Gibt es was Schöneres, als in Freiheit zu leben und überall hinfliegen zu können. „Macht die Augen zu” und stellt euch vor, ihr seid Geier und fliegt hunderte von Kilometern, und wenn ihr hungrig seid, müsst ihr nicht erst Futter suchen, nein, ihr wißt eine Stelle, wo ihr immer etwas zum Essen bekommt.

Die Weißkopfgeier haben da auch Gesellschaft, Freunde, weil jeden Sommer 50 bis 100 Gänsegeier, aus Kroatien kommen und bei uns in Salzburg den Sommer verbringen.

Vor ein paar Jahren kam Gundula plötzlich nicht mehr zum Fressen. Im Tiergarten machte man sich Sorgen. Über Radio und Fernsehen ersuchte man die Wanderer, nach Gundula Ausschau zu halten. Erkennen konnte man sie an einem roten Ring am rechten Bein und rot gefärbten Federn am linken Flügel.

Und nach ein paar Tagen entdeckten Bergsteiger am Untersberg die schwer verletzte Gundula. Sofort brachte man sie nach München in eine Spezialklinik für Vögel.

Nach einem Monat kam sie wieder nach Salzburg, sogar das Fernsehen hatte man eingeladen, dabei zu sein, wenn Gundula wieder heimkam. Das Auto fuhr in den Tiergarten, die Transportbox wurde auf den Boden gestellt und Gundula marschierte heraus, wie bei einem Staatsbesuch. Sie ist den Geierhügel hinaufgegangen, hat die Flügel ausgestreckt und ist Richtung Untersberg weggeflogen.Und ihr könnt euch heute am Abend, vor dem Einschlafen, vorstellen, Gundula zu sein und weit über die Hohen Tauern zu fliegen.

© Elisabeth Adensamer 2020-10-27