Die Wolfsschlucht in Bad Kreuzen

Ulrike Sammer

by Ulrike Sammer

Story

Als ich mit meiner Familie einige Jahre in Brasilien lebte, lernten wir das aus Österreich ausgewanderte Ehepaar Prießnitz kennen. Sie erzählten uns, dass sie Nachfahren der Naturheilers Vincenz Prießnitz seien, waren aber sehr erstaunt, dass uns dieser Name bekannt war. Sie wussten nicht, dass ganz in der Nähe meiner Wohnung, im Wiener Türkenschanzpark, ein Denkmal an Prießnitz (1799 – 1851) erinnert. Prießnitz war Landwirt und autodidaktischer Naturheiler. Er erlitt einen schweren Unfall, bei dem er sich zwei Rippen brach. Er half sich, indem er die verletzten Rippen mit einem in kaltes Wasser getauchten Umschlag fixierte und darüber mehrere enganliegende Tücher band. Dies war die Geburtsstunde des Prießnitz-Umschlages. Die Rippen verheilten und sehr schnell hatte der junge Prießnitz im weiten Umkreis den Ruf, ein „Wasserdoktor“ zu sein. Im Jahr 1826 kamen die ersten Kranken von außerhalb zu Prießnitz. Er richtete ein Badehaus ein, in dem er mit Wasser behandelte. 1830 bekam er die Genehmigung der österreichischen Regierung zur Errichtung und Führung einer Kaltwasser-Heilanstalt. Im Badehaus wurde eine riesige Wanne von zehn Meter Durchmesser installiert, in der die Patienten auch schwimmen konnten. Bereits 1832 wurde ein zweites Anstaltsgebäude gebaut mit 18 Zimmern und einem Saal. Insgesamt konnten in der Heilanstalt gleichzeitig etwa 100 Kranke untergebracht werden. Bis zu seinem Tod behandelte der „Wasserdoktor“ hier etwa 36.000 Patienten.

Prießnitz machte mit seinen Wasserkuren und Luftbädern die Hydrotherapie populär. Innere Krankheiten führte er auf „schlechte Säfte“ zurück, die aus dem Körper herausgebracht werden müssten. Er wandte kaltes Wasser und kalte Kompressen bei den verschiedensten Krankheiten an, verordnete aber auch Bewegung und Diät. Außerdem setzte er auf Abhärtung, vorzugsweise durch eiskaltes Duschen.

Jahre später, wieder in Österreich, fuhren wir nach Bad Kreuzen, wo gemäß der Lehren von Vincenz Prießnitz ab 1846 in der sehr engen und steilen Wolfsschlucht die Wasserfälle zu Duschen und die natürlichen Wasserbecken zu Wellenbädern umfunktioniert wurden. Von den zahlreichen Holzbauten in dieser „Heilklamm“ sind nur noch Fundamente und Pfostenlöcher übrig. Schilder wie etwa die „Neptunsgrotte“, “Greiner Duschen” oder “Wiener-Wellen-Bäder” weisen auf die frühere Nutzung hin. Hier wurden viele Menschen aus etlichen Ländern behandelt (darunter auch Erzherzog Karl oder Chopin). Auch eine „Barfußgehwiese“ gab es bereits. Die Wolfsschlucht mit ihren vielen Wasserfällen und tiefen Becken erwies sich als Geschenk des Himmels. Die Wasserfälle wurden zu Duschen, bei denen der Wasserstrahl mit einer Fallhöhe von 6-7 Metern auf die Herren niederprasselte. Bei den Damen waren Stärke und Fallhöhe des Wasserstrahls freundlicherweise etwas niedriger.

Seit 1997 führt ein etwa 4,8 Kilometer langer, origineller Natur- und Kulturlehrpfad durch die für Badeeinrichtungen der ehemaligen Kaltwasseranstalt Bad Kreuzen genutzte Schlucht.


© Ulrike Sammer 2025-06-07

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