Die Würde des Menschen Teil 4

Alicia Harms

by Alicia Harms

Story

„Wieso sonst“ füge ich hinzu, „wieso sonst gibt es Kriege, Menschen töten Menschen, als sei es ein Spiel, als sei ein Leben nichts wert. Was ist schon ein Menschenleben oder zehn, es verfolgt ja ein größeres Ziel, wofür?“ „Wieso sonst bestimmt allein der Ort, an welchem wir geboren werden, wie unser Leben verläuft?“, ergänzt der Unbekannte. „Wie kann es sein das ich hier heute stehen darf, darüber diskutiere, wie unantastbar die Würde des Menschen denn nun wirklich ist und eine Mutter in Gaza nicht weiß, wie sie ihre Kinder heute Abend ernähren, ihnen einen Platz zum Schlafen bieten kann? Wie kann es sein das die nächste potenzielle NASA-Ingenieurin in Afrika nicht zur Schule gehen darf?“ frage ich. „Wieso“, löst er mich ab, als wüsste, er genau welchen Satz ich sagen wollte, „denken die Taliban sie wären als Männer mehr Wert als Frauen, warum denken Männer auch hier, sie können Frauen als ihr Spielzeug benutzen?“ „Wieso“, sagen wir gleichzeitig, unsere Stimmen bündeln sich, gewinnen an Kraft, „wieso bestimmt unsere Hautfarbe, unsere Herkunft, unser Geschlecht, unsere sexuelle Orientierung, unser Glaube, unseren Wert? Wenn wir doch alle gleich sind, warum behandelt man uns so verschieden, wen die Würde des Menschen unantastbar ist, warum ist sie es den bei manchen nicht?“ „Die Würde des Menschen ist unantastbar, es steht so im Gesetz, es gibt dafür keine Diskussion in meinem Unterricht, Klappe und hinsetzen“, unterbricht uns die scharfe, plötzlich so laute Stimme unseres Professors, seine ersten Worte. Doch ich denke nicht an hinsetzen, ich bin so in Rage. Ein vorsichtiger Blick zu dem Unbekannten verdeutlicht mir, das auch er noch längst nicht fertig war. „Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht’s im Gesetz“, wiederhole ich die Worte unseres Professors, „und genau deshalb bin ich nicht still, deshalb setze ich mich nicht hin. “Die Würde des Menschen ist unantastbar, so steht es im Gesetz, wir können es alle nachlesen, schwarz auf weiß, genau jetzt, da vorne steht es“, ich zeige auf den Beamer, der noch immer, den Abschnitt das Grundgesetz zeigt. „Doch die Schrift ist Rot, geschrieben mit dem Blut derjenigen dessen Würde nicht unantastbar war, deren Leben weniger wert, deren Verlust akzeptabel war. So sind die, diejenigen die, die Würde des Menschen verletzen, Analphabeten? Ich glaube nicht, es sind Monarchen, Könige, Kanzler, selbst das einfache Bürgertum.“ Er unterbricht mich, „wo wir beim nächsten Problem sind, Immanuel Kant erklärt die Menschenwürde wie folgt: „Dinge sind wertvoll, wenn wir sie brauchen können. Ein Schuh ist zum Beispiel wertvoll, wenn er passt, man mit ihm gut laufen kann. Wenn der Schuh kaputt ist, hat er keinen Wert mehr. Bei Menschen ist das anderes: Der Mensch hat immer einen Wert. Auch wenn er krank ist. Auch wenn er nicht arbeiten kann. Wenn etwas immer einen Wert hat, sagt man: Es hat eine Würde. Jeder Mensch ist deshalb wertvoll, weil er ein Mensch ist. Alles hat einen Wert, der Mensch aber hat eine Würde“. “Wie ist die Würde des Menschen unantastbar, wie sind wir alle gleich, wenn manche Menschen über anderen stehen, mehr Macht und Gehör geschenkt kriegen?“ „Alle Menschen sind also wertvoll und haben Würde“, unterbreche ich ihn, „egal welche Religion sie haben, aber stimmt, hatte ich vergessen, die Juden wurden ja gar nicht verfolgt und getötet, schon gar nicht nur wegen ihrer Religion.


© Alicia Harms 2024-09-15

Genres
Novels & Stories