Doppelmoral

(MANN und FRAU liegen im Bett.)

FRAU: Na, wie fandest du es?

MANN: War okay.

FRAU (provokant): Ach, dafür hast du aber ganz schön gestöhnt vorhin.

MANN (genervt): Bild dir mal nicht zu viel ein.

FRAU: Da wird einer aber schnell pissig. Ist ja nicht so, dass wir das beide hier zum ersten Mal gemeinsam gemacht haben, hm?

(MANN erhebt sich aus dem Bett.)

MANN: Ich bin schwul, okay?

FRAU: Hä?

MANN: Ich stehe nur auf Männer?

FRAU (verwirrt): Und was war das gerade eben dann?

MANN: Ich kann auch mit Frauen, aber ich stehe nur auf Männer.

(MANN beginnt damit, sich anzuziehen.)

FRAU: Warte, heißt das dann nicht, dass du bi bist?

MANN (belehrend): Das gibt’s nicht. Bisexualität gibt es nicht. Pansexualität gibt es auch nicht. Das haben nur irgendwelche Tunten erfunden, damit sie sich nicht eingestehen müssen, dass sie schwul sind. Internalisierte Homophobie, schon mal davon gehört?

FRAU: Okay, das muss ich erst einmal verdauen.

MANN (abgeklärt): Nimm dir ruhig Zeit. Hat auch eine Weile gebraucht bei mir gedauert. Die ganzen woken Tunten ballern uns ja auch ständig mit diesem Identitätspolitik-Kram zu. Dabei ist das total einfach und einleuchtend, finde ich.

(FRAU erinnert sich daran, etwas dazu gelesen zu haben, greift nach Handy, überfliegt Artikel erneut und sammelt sich für Antwort.)

FRAU: Schon mal was von Heteroflexibilität gehört? Da ist man an sich hetero, kann aber auch Sex mit dem gleichen Geschlecht haben. Also man ist nur ein klitzekleines bisschen am gleichen Geschlecht interessiert. Vielleicht bist du das in der schwulen Variante.

MANN (genervt): Entweder schwul oder hetero. Was anderes gibt es für mich nicht. Akzeptier das doch einfach.

(FRAU steht auf.)

FRAU (aufgebracht): Und wie kommt es dann, dass du mit mir Sex hattest? Deiner Logik nach hättest du das als Schwuler ja dann nicht gekonnt.

MANN (hochnäsig): Ich kann es, aber ich bin schwul. Nicht bi, nicht pan, nicht homoflexibel oder was anderes. Alles nur Hirngespinste. Da kannst du noch so lange herumdiskutieren.

FRAU (resigniert): Und da nennst du mich internalisiert homophob …