EF > Leipzig > Dessau > BER > Rostock

Nina Kolarzik

by Nina Kolarzik

Story

Heute zĂ€hle ich mental die ZĂŒge, die ich schaffe. Mit geringen Umsteigezeiten und der Unsicherheit, ob ich in den RegionalzĂŒgen mit dem Rad mitgenommen werden, lassen mich die ganze Zeit befĂŒrchten, dass ich irgendeinen Zug verpassen werde. Der erste Zug nach Leipzig klappt. Mein Rad ist mit einem anderen zusammengeschlossen, von jemandem der auch nach Leipzig fĂ€hrt. Die Schaffnerin hat gute Laune. Sie entschuldigt sich bei jemandem, dass bei so vielen GĂ€sten ihr Gehirn irgendwann einen Error macht. Und möchte bei allem mit dem 49-Euro-Ticket den Ausweis sehen, da wird leider viel mit betrogen und die Tickets weitergegeben, sagt sie. „Und dabei ist es schon billig“, sagt eine Ă€ltere Frau. „Ja, da wĂŒnsche ich mir ein 49-Euro-Ticket fĂŒr die Tankstelle, weil die 140 km die ich jeden Tag zur Arbeit fahre, bezahlt mir auch keiner“, antwortet die Schaffnerin. Keine Stunde spĂ€ter gibt es einen zweiten Schaffner Wechsel. Er fragt weder nach Ausweis noch nach der BahnCard, nimmt es weniger genau.

Der Zug nach Dessau ist sehr voll. Irgendwie passen trotzdem mehrere RĂ€der, Kinderwagen und ein Rollstuhl noch hinein. Auch wenn alle in den GĂ€ngen stehen oder auf dem Boden sitzen. Zwei Kinder verstehen nicht, warum man ein Rad mit in den Zug nehmen wĂŒrde, man könne die Strecke ja auch gleich fahren. Wie immer gibt es einige Nörgel-Allmans und dann welche die total entspannt und hilfsbereit sind, wie der Mann der mir anbietet mit den Fahrradtaschen zu helfen
 Welch Kontraste. Der Schaffner ist einer der freundlichen Sorte. Noch beim Aussteigen in Dessau gibt er Hinweise, wie man zu dem Bahnsteig fĂŒr den Zug nach Berlin kommt. Ich trage mein Fahrrad samt Taschen die Treppen hoch. Der Fahrstuhl wird schon von den Leuten mit ihren Rollkoffern beansprucht, so lange möchte ich nicht warten. Am Bahnsteig packt ein junger Mann seine Gitarre aus und spielt und sagt etwas. Die Umstehenden freut es. Ein anderer Mann kommt mit dem Musiker ins GesprĂ€ch, als dieser seine Sachen wieder zusammenpackt.

Beim Umsteigen in Berlin warte ich gemeinsam mit einer kleinen Familie, die ebenfalls nach Rostock fahren möchte. In dem mehrstöckigen Bahnhof mĂŒssen wir lange auf den Fahrstuhl warten, aber eine andere Möglichkeit haben wir kaum. Ein GlĂŒck, dass wir hier eine lĂ€ngere Umsteigezeit haben. Am Gleis angekommen drĂŒcke ich dann konstant die Daumen, dass uns keine spontane GleisĂ€nderung bevorsteht. Doch fĂŒr die GleisĂ€nderung die passiert, mĂŒssen wir uns nur einmal auf dem Bahnsteig umdrehen. Vier von vier. Alle Umstiege geschafft. Auch dieser Zug ist zu Beginn voll, doch es ist genug Platz fĂŒr mich und mein Rad. Am nĂ€chsten Halt steigt unter anderem ein Mann ein, der laut vor sich hin aber zu niemandem bestimmtes darĂŒber schimpft, dass der Zug zu spĂ€t und sehr voll ist. Keiner sagt etwas, aber alle schauen ihm hinterher. Es hat etwas LĂ€cherlich-albernes, wie er da redet. ‘Indem du eingestiegen bist, hast du den Zug noch voller gemacht’, denke ich mir. Aber wie schon den ganzen Tag sage ich lieber nichts zu all denjenigen, die mir heute auf die Nerven gegangen sind. Ich komme nach Plan in Rostock an. Erleichterung. Das letzte StĂŒck fahre ich mit dem Rad, da liegt es nur noch an mir.


© Nina Kolarzik 2023-08-22

Genres
Novels & Stories