Ein Ausflug ins Innviertel

Johann März

by Johann März

Story

Irgendwann im Mai 2021. Wir wollen COVID-19 ein Schnippchen schlagen, meine Gattin und ich. Und der Wandertipp in den Salzburger Nachrichten verspricht, was wir suchen: Stille, Natur, Entspannung vom Alltag. Kein tragen von Gesichtsmasken, keine Menschenansammlungen.

Wir gehen völlig unbeschwert. Die Luft ist klar, die Berge Salzburgs und Bayerns gut erkennbar: Untersberg, Hoher Göll, Tennen- und Hagengebirge. Auf bayerischer Seite Predigtstuhl, Lattengebirge, Hoher Staufen, Zwiesel. Und, aber nur zu erahnen die vor sich hin dösende Kampenwand. Ich kann es nicht lassen und grummele den passenden Schüttelreim vor mich hin:

I gangat gern auf’d Kampenwand/wann i mit meiner Wampen kannt.

Es ist kein kalter Wind, der mich plötzlich frösteln lässt. Es sind die Augenhöhlen einer Gestalt, eingehüllt in einen Kapuzenmantel, die mich anstarren. Irritiert blicke ich auf den Wandervorschlag. Lese Zeile für Zeile. Überfliege die abgebildete Wanderskizze. Überprüfe gedanklich unseren zurückgelegten Weg: vom Parkplatz am Ortsanfang eine Anhöhe hinauf, vorbei an einem einsam gelegenen Weiler, hinein in den Oberen Weilhartsforst. Kein Wort, geschweige denn eine Zeile zu finden über diesen Platz, vor dem wir nun stehen: ein Geviert, nur ein paar Quadratmeter groß. Kleine Kreuze aus Granit, hineingerammt in den Boden. Eine Kapelle lädt ein zum Innehalten, lädt ein zum Gebet sprechen. Eine Chronik gibt Auskunft über die geschichtlichen Vorgänge in dieser Gegend des Innviertels, beginnend mit dem Jahr 1349 „die Pest ließ in unserer Gegend ganze Ortsteile aussterben“ und endend im Jahr 1714. An diesem Tag konnte „das hochfürstliche Salzburg die Pest für gänzlich erloschen erklären.“ 365 Jahre brachte der „Schwarze Tod“ zigmal Trauer und Verzweiflung. Machte Menschen zu Gefangenen in deren eigenen vier Wänden, raffte gnadenlos die Einwohner ganzer Ortschaften an sich.

Wie lange werden wir Gefangene von COVID-19 sein, frage ich mich. Und was wird noch auf uns zukommen? Haben die Unkenrufer recht mit ihren düsteren Prognosen? „Die neuen Plagen“ so hat Laurie Garrett symbolhaft ihr Buch betitelt. Und unser Michael ist, seit Februar 2020 von COVID-19 gezwungen, in einer Art Blase zu leben – auf den Philippinen, in Manila.

Ich werde das Gefühl nicht los – wir sind vom Regenin die Traufe gekommen, meine Gattin und ich. Statt COVID-19 ein Schnippchen zu schlagen werden wir nun hier, in dieser einsamen Gegend des Innviertels, von einer, in einen Kapuzenmantel gehüllten Gestalt, angeglotzt. Die höhnisch hinauf gezogenen Mundwinkel, die Knochenfinger signalisieren Unheilvolles: auch ihr entkommt mir nicht!

Wir machen uns auf den Rückweg. Unsere Schritte sind schneller als am Hinweg, unsere Stimmung gedrückt, der Anblick der Salzburger und bayerischen Berge kann keine Freudenstimmung aufbringen. Und einen weiteren Schüttelreim zu grummeln ist mir ohnehin vergangen.

© Johann März 2023-02-12