Ein Croissant zum Mittag

Christian Gosch

by Christian Gosch

Story
Köln 2023

Köln. 11:13 Uhr. Der Montag nach dem 2. Advent. Der Hauptbahnhof ist gefüllt mit großen Taschen und noch größeren Menschen. Zu meiner linken steigt der Duft von frischen Bockwürsten in meine Nase, während sich Papier zu meiner Rechten wie Berge stapelt. Die Hochglanzmagazine und Taschenbücher prahlen mit tollen Covern und locken Touristen in ein Abenteuer der Literatur zum Zweck des Zeitvertreibs. Ich grüße die freundliche Kassiererin des Schreibwarenladens, die mich auf meiner Routinerunde durch den Kölner Hauptbahnhof bemerkt.

Ich mache mich auf den Weg Richtung Breslauer Platz, wandere durch die elektronischen Schiebetüren ins Freie und atme die Luft der Großstadt ein. Manchmal frage ich mich, ob jede Stadt ihren eigenen, unverkennbaren Duft hat – überwiegt der Geruch von Dieselabgasen oder der von frisch gemähtem Gras und Heu oder liegt die Würze in genau der Mischung aus beiden?

Die Türen öffnen sich erneut und ich verschwinde wieder in den Tunnel der zahllosen Reisenden und zu den Aromen der Bäckerei- und Fast-Food-Ketten, welche sich im Bahnhof aneinander reihen. Der Rundgang führt mich zudem vorbei am Fanshop des FC, der mit einem rot-weißen Banner versucht, den treuen Fan zur Vorweihnachtszeit mit den Lettern „Nur heute zur Feier des Siegs am 2. Advent: 25 % auf Weihnachtstrikots!“ zum Spontankauf zu ermuntern.

Ich genieße das frische Wasser, das mir die nette Starbucks-Mitarbeiterin jeden Morgen schenkt, nachdem ich am anderen Ende der Bahnhofshalle angekommen bin. Ich starre auf die riesige Anzeigetafel und blicke in die verwirrten Gesichter derer, die genauso ratlos ihren Kopf gen Tafel heben wie ich selbst. Danach blicke ich kurz zum Dom, der hinter der anderen gläsernen Tür in der Mittagssonne thront.

Wenig überraschend komme ich erneut an einer Bäckerei vorbei und, nachdem ich die Theke lange studiert und mich um die Ecke zur Verkäuferin geschlängelt habe, stellt mir diese meine übliche und allzeit geliebte Mahlzeit hin: mein Croissant zum Mittag. Mit Fleischwurst. Dass ich das Croissant meist nur begutachte, bevor ich es ignoriere, und mich lieber über die Fleischwurst, die daneben liegt, hermache, scheint kein Problem zu sein. Ich glaube, die Dame findet es einfach süß, wie die Farbe des Croissants der meines Fells ähnelt: Das im Ofen knusprig gebackene Braun kommt dem Rostbraun meiner Strähnen schon ganz Nahe.

„Das verputzt du aber schnell! Mensch, hast du einen Hunger!“, staunt es die Verkäuferin jeden Tag aufs Neue, wenn ich nach meinem Marathon durch den Hauptbahnhof meinen ersten wirklichen Snack des Tages zu mir nehme. „Bis später, mein Kleiner“, verabschiedet sich die nette alte Frau mit liebevollem Blick, nachdem von der Fleischwurst nicht mehr viel (eigentlich gar nichts) übrig geblieben ist.

Schließlich mache ich mich auf den Weg zu Gleis 9, wo meine morgendliche Runde nach einem kurzen Nickerchen begonnen hat und nun mit einem weiteren Nickerchen vorerst endet.

© Christian Gosch 2024-01-15

Genres
Novels & Stories, Humor & Satire
Moods
Abenteuerlich, Funny
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