by Linda Riedel
Verpasst. Egal wie sehr sie auch das Beste aus sich heraus zu holen vermochte, der Bus war fort. Beinahe zu schnell, als würde selbst er vor ihr fliehen wollen. Sie bemerkte ihr unnötiges Rennen und verlangsamte allmählich den Schritt. Hielt unter der Straßenlaterne an und rang nach Luft, während sie dem Fahrzeug enttäuscht hinterher starrte. Es regnete. Das erste Mal im Jahr und es hörte sich angenehm unter der Kapuze an. Angesammelte Tropfen glitten an deren Saum entlang und suchten ihr kurviges Gesicht auf. Durch das Wetter dachte man an eine späte Uhrzeit, doch es war noch nicht einmal Zeit für das Sandmännchen. Der Atem der jungen Frau hatte sich inzwischen beruhigt und sie wusste selbst, dass der neue Bus erst in einer Viertelstunde kommen würde. Sie spürte die Feuchtigkeit an ihrer dunklen Strumpfhose und wünschte sich, sie hätte doch lieber eine Hose angezogen. Aber nein, sie wollte ja unbedingt hübsch und feminin wirken. Zum Teufel damit, fluchte sie in sich hinein und lief frustriert, aber ohne Wut, in das schmächtige Wartehäuschen, wo der Mülleimer überquoll und einige zerdrückte Kippen verstreut lagen. An einer der Wände strahlte sie ein Werbegesicht entgegen, dass jedem ein glückliches Leben versprach. Mit Sicherheit und Wärme. Vor dem inneren Auge der jungen Frau spielte sich die vergangene Szene ab. Seit Monaten besuchte sie einen Schreibkurs, der einen Wettbewerb veranstaltet hatte, für die lustigste Geschichte. Von 24 Teilnehmer war sie auf dem 23. Platz gelandet. Das einzige Talent, was sie glaubte zu besitzen, war das Schreiben. Und selbst hier erreichte sie noch nicht einmal den letzten Platz, sondern den Vorletzten. Es war schrecklich, denn es bezeugte doch nur, dass sie nichts Halbes und nichts Ganzes war. Mit einer erhöhten Lautstärke plätscherte der Regen seine Dominanz auf das kleine Dach und holte sie zurück. Sie steifte die Kapuze zurück und musste sich unbedingt von dieser widerlichen Reklame abwenden. In der Tasche spürte sie ihre Buskarte und schniefte die Nase hoch. Atemwölkchen krochen aus ihrem Mund und sie schloss die Augen. Zumindest konnte sie sich vorstellen, dass sie Erfolg im Leben haben würde. Wie die Menschen sie anlächeln, sich freuen, wenn sie einen Raum betrat und für das, was ihr Herzblut war, auch jubilierten. Dieses Gefühl war so unbekannt für sie, dass sie gar nicht wusste, ob sie diese Vorstellung überhaupt richtig genießen würde. Aber solch ein Erlebnis wäre der Höhepunkt ihres Daseins. Sie hätte Glück, ihre Gedanken wären plötzlich interessant für andere Menschen und ihr Wort ein roter Teppich. Die Augen öffneten sich wieder, sie hörte von fern bereits den Bus. Regte sich aber noch nicht, dachte an dieses Märchen und glaubte einfach nicht daran. Mit feuchtem Haar bestieg sie den Eingang der mechanischen Tür und setzte sich auf ein Fensterplatz. Erwischt.
© Linda Riedel 2024-11-18