Das Auto kämpfte sich die Serpentinen hoch. Kurz vorm Abwürgen schaltete Marco blitzschnell zurück und ließ den Motor aufheulen. Es ging um die nächste Kurve und ich atmete auf. Etwas entspannter schaute ich aus dem Fenster und genoss die Aussicht auf den Atlantik vor Madeira. Die steilen Berge stellten unseren Mietwagen regelmäßig vor eine Herausforderung, aber am Ende schafften wir es immer nach oben.
Madeira war mir bekannt als die Blumeninsel Portugals. Und sogar noch jetzt im Herbst blühten die Hortensien fröhlich am Wegesrand. Wie mochte es wohl erst im Frühjahr aussehen? Der Motor kreischte ein letztes Mal und wir hatten endlich das Hochplateau der Insel erreicht. Unser Ziel war der Lorbeerwald Fanal, welcher durch seine Lage in dieser Höhe regelmäßig von Nebel durchzogen sein sollte.
Vor uns schlängelte sich der Weg durch die Weite. Hier oben war es gar nicht mehr so grün und wieder entdeckten wir eine andere Facette dieser wunderschönen Insel. Ein paar Kühe kreuzten unseren Weg und Marco machte etwas langsamer. Plötzlich hielt er neben einer Kuh am Wegesrand und ließ das Fenster herunter. Ich schaute ihn verdutzt an, die Kuh glotzte neugierig ins Auto und Marco grinste vielsagend. „Hallooo! Sagen Sie mal, wo kann man denn hier parken?“. Ich prustete los – Typisch Marco. Die Kuh konnte uns leider nicht helfen, also ging es weiter über die holprige Straße.
Endlich erreichten wir unser Ziel – zumindest sagte das Google Maps. Wir parkten das Auto an der Straße und gingen abenteuerlustig zu Fuß los. Es ging über einen kleinen, schlammigen Hügel und dann erstreckte sich ein Savannen-artiges Becken vor uns, das von Lorbeerbäumen gesäumt wurde. In der Mitte grasten friedlich ein paar Kühe. Der Ort strahlte eine Ruhe aus, die mich sofort erfasste. Es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen.
Wir liefen zwischen den Bäumen am Rand entlang bis zur gegenüberliegenden Seite. Es roch unglaublich köstlich nach Kräutern und die Bienen summten fleißig um uns herum. Glücklich sog ich alles in mich auf. Die Lorbeerbäume wuchsen in den skurrilsten Formen, jeder war ein Kunstwerk für sich. Angeblich waren einige schon ein paar Jahrhunderte alt und das glaubte ich bei ihrem Anblick gern. Moosbewachsen krümmten sie sich in den Himmel und zurück zum Boden. Dieser Ort schien seine ganz eigene Magie zu haben, kein Wunder, dass er den Spitznamen „Feenwald“ trug. Eigentlich hatten wir den Wald unbedingt im Nebel sehen wollen, von dem war aber bisher keine Spur zu sehen und das störte uns auch gar nicht mehr.
Wir erklommen den Hügel am Rand des Beckens und staunten, als wir von dort auf die Wolken herabblickten. Es war als gäbe es nur diesen Ort auf der Welt und wir hatten den Rand erreicht. Ich sah zur anderen Seite des Beckens, wo ebenfalls Wolken vorbeizogen, und fühlte einen inneren Frieden, wie noch nie zuvor. Hier könnte ich für immer bleiben.
© Vanessa Grass 2021-03-22