[1971] Durch Axl aus Gänserndorf kam ich mit siebzehn zu Haschisch und LSD. Ich war ein Landei ohne Kontakte, in einem Dorf aufgewachsen, er aber im Internat in Wien-Strebersdorf und kannte einige Leute aus der Wiener Szene. Er kaufte Haschisch und Trips am Theseustempel oder im Café Savoy im ersten Bezirk. Das Savoy war der Umschlagplatz für alles. Die Behörden wussten noch nicht so richtig Bescheid.
Sechsmal war er aus dem Internat geflüchtet, nur um von seinen Eltern, den viel beschäftigten Unternehmern der Bezirkshauptstadt, wieder zurückgebracht zu werden. Axl war ein sensibler künstlerischer Mensch mit schöner sonorer Stimme und hoher Intelligenz. Er spielte Gitarre, malte und hasste das Internat. Einmal punktete er ein Bild mit über fünftausend Punkten.
Das LSD namens Orange Sunshine eröffnete uns eine neue Welt. Mit großen Ohren lauschten wir der Musik der Rock-Bands von Schallplatten, die Axl kaufte. Rolling Stones, Cream, Jethro Tull, Canned Heat, Hendrix, Led Zeppelin. Wir machten verrückte Dinge auf Trip, trafen uns mit Freunden und spazierten nachts durch den Wald oder fuhren zum Spaß mit den uralten Aufzügen der Häuser am Wiener Graben. Wir gingen in Diskotheken, den Club Electronic, die Camera und nach Niederkreuzstetten. Dort hatten wir Zeichenblätter auf dem Tisch liegen, für die spontanen Eindrücke im Drogenrausch. Eines Nachts, als während der späten Heimfahrt Schnee fiel, schneite es in allen Farben: blau, rot, grün, gelb und weiß.
Bald danach zog ich nach Wien, ich war achtzehn geworden, hatte eine feste Freundin und sah Axl nur noch selten. Mit zwanzig fuhr ich nach Istanbul und kam nicht mehr zurück. Ich war im Gefängnis gelandet, nachdem mir ein Türke ein paar LSD-Tabletten gestohlen und diese der Polizei gebracht hatte. Die Anklage lautete auf dreißig Jahre Haft, und der Kurier berichtete davon. Sechzehn Monate später war ich wieder in Österreich, gerade rechtzeitig, um von Axls Selbstmord zu erfahren.
Wegen seiner Eltern, bei denen er wohnte, die mich aber nicht mochten, hatten wir uns nicht geschrieben, als ich in Haft war. Ich wusste nicht, was seither in ihm vorgegangen war. Ich hoffte nur, dass er sich keine Vorwürfe machte, weil er mich vor Jahren zu den psychedelischen Drogen gebracht hatte. Was ich erfahren musste, war tragisch. Etwa drei Monate vor meiner unerwarteten Entlassung hatte sich Axl im Spätherbst in den verschneiten Wienerwald gelegt, versteckt unter Büschen, mit einer Überdosis Schlaftabletten im Blut. Identifizierbar war er im Frühjahr nur noch anhand seines Personalausweises. Er wurde zwanzig Jahre alt.
Zum Begräbnis kleidete ich mich, wie alle, schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte, und fuhr nach Gänserndorf. Dann stand ich vor dem Tor des Friedhofs wie vor einer unsichtbaren Wand. Eine Schwellenangst hielt mich zurück, während drinnen mein Jugendfreund vor versammelter Schar in einer Holzkiste in die Erde hinab gelassen wurde. Ich konnte nicht in den Friedhof hineingehen.
© Hannes Stuber 2019-12-26