Ein Tattoo stechen lassen

Victoria Marsch

by Victoria Marsch

Story

Ich war schon auf dem Weg in die Stadt, als eine Nachricht von Sienna auf meinem Bildschirm aufploppte. Ich öffnete die Nachricht: „Hey! Ich hoffe, dir geht es gut. Ich bin an diesem Sonnenblumenfeld vorbeigefahren und musste dabei an dich denken. Schau mal, wie toll sie schon blühen. Ich hoffe, sie sind noch so schön, wenn du zurück bist. Ich vermisse dich!“ Ich musste lächeln, als ich das Bild sah, dass sie mir dazu geschickt hatte. Es zeigte Sienna neben einer Sonnenblume, die größer als ihr eigener Kopf war. „Wow, die ist ja riesig. Ich schicke dir später ein paar Bilder, ist echt schön hier. Ich vermisse dich auch!“, antwortete ich. Ich war mir bis eben noch nicht hundertprozentig sicher gewesen, wie ich den nächsten Punkt auf der Bucketlist genau umsetzen wollte, aber nun war es mir endlich klar geworden. Ich lief die letzten Meter auf das unscheinbar aussehende Tattoo Studio zu und atmete noch einmal tief ein und wieder aus, bevor ich es schließlich betrat. Ich begrüßte Riley, meine Tätowiererin, die mich mit einem: „Na, hast du mittlerweile ein Motiv gefunden?“ empfing. Ich lachte und fing an, ihr von meiner spontanen Idee zu erzählen. „Und du bist dir sicher, dass du da nicht länger darüber nachdenken willst?“ „Ganz sicher!“ Ich war entschlossen, das jetzt durchziehen zu wollen. Ich wollte ohnehin schon immer ein Tattoo, hatte mich nur vorher nicht getraut, mir auch wirklich eines stechen zu lassen. Das war jetzt aber vorbei. Nachdem die Tätowiererin eine Skizze angefertigt und diese an meinem Oberarm angebracht hatte, war es auch schon Zeit, mich auf die schwarze Liege inmitten des Raumes zu legen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und meine Fingerspitzen fingen an, durch das Adrenalin leicht zu kribbeln. „Du brauchst keine Angst haben, es wird nicht schlimm“, versicherte mir Riley, die meine Nervosität bemerkt hatte. Ich nickte zaghaft und schloss die Augen, als ich das Surren der Maschine hörte. Riley setzte vorsichtig an meiner Haut an und ich spürte ein Vibrieren, verbunden mit einem leichten Stechen. „Und? Ist nicht schlimm, oder?“, fragte sie mich. „Nein, gar nicht“, stimmte ich ihr zu und lehnte mich ein wenig mehr zurück. Die Anspannung fiel nach und nach von mir ab und ich fing sogar an, mich ein wenig mit ihr zu unterhalten. Als Riley die Tätowiermaschine absetzte und das Summen verstummte, sah ich erstaunt nach oben. „Schon fertig!“, bestätigte sie. „Du darfst es dir jetzt gerne am Spiegel anschauen gehen!“ Ich stand auf und betrachtete die Sonnenblume, die nun meinen Körper verzierte. „Wow, das sieht unglaublich schön aus. Vielen Dank!“ Ich konnte meine Augen gar nicht mehr von der Blume nehmen. „Sie passt total gut zu dir, Miriya. Es sieht fast so aus, als wäre sie schon vorher da gewesen“, bemerkte Riley. Sie gefiel mir immer mehr, je länger ich sie ansah. Noch besser gefiel mir die Bedeutung, die sie mit sich brachte. Ich trug sie an der Innenseite meines linken Oberarms, weil das die Stelle war, die am nächsten zu meinem Herzen war. Ich wollte mir die Art der Sonnenblumen zu Herzen nehmen, die sich stets dem Sonnenlicht zuwendeten. Ich wollte mich immer daran erinnern, dass es auch in meinem Leben Sonnenmomente und Sonnenmenschen gab. Sienna war eine von diesen Sonnenmenschen. Sie war ein Lichtblick in all der Dunkelheit meiner Vergangenheit und auch für sie wollte ich mich der Sonne zuwenden und nicht aufgeben. Es war Zeit, den Schatten meiner Geschichte endlich hinter mir zu lassen.

© Victoria Marsch 2023-08-09

Genres
Novels & Stories