Im niederösterreichischen Kleinhöflein steht auf einem weithin sichtbaren Hügel eine sehr schöne gotische, barock ausgestaltete Kirche. Sie ist dem heiligen Veit geweiht. Jeder im Volk weiß, dass der heilige Veit der Schutzheilige der Bettnässer ist. Es gibt ein Gebet, dass gläubige Kinder am Abend sprechen sollen, damit sie diesmal rechtzeitig aufs Klo kommen und nicht im eigenen “See” aufwachen: “Lieber heiliger Veit, wecke mich zur rechten Zeit!”
In früheren Zeiten, als man noch in Nacht und Nebel ins Freie musste, weil das “Häusl” irgendwo außerhalb des Wohnhauses oder Hofes stand, benutzte man bekannter weise Nachttöpfe. Sie standen meist leicht greifbar unter dem Bett und wenn sich ein menschliches Bedürfnis meldete, zog man den Topf kurzerhand heraus und ein Plätschern erfüllte den Schlafraum. So sollte also der Nachttopf der gute Freund aller jener werden, die so in ihren Träumen verfangen waren, dass sie nicht rechtzeitig aufwachten, um die drängende Körperflüssigkeit von da nach dort zu verlagern.
Wie kommt nun der Märtyrer Veit, der vor langer Zeit vom Leben zum Tode gebracht wurde zu den Ehren dieser Patenschaft?
Nun – das sieht doch jeder! Der heilige Veit wird stets mit oder in einem großen Topf dargestellt, in dem er in siedendem Öl umgebracht wurde. Also ist er offensichtlich der Fachmann für alle Arten von Töpfen! Logisch – oder etwa nicht? Als Fachmann wird er sich nun hoffentlich auch darum kümmern, dass diverse Töpfe mit anderen goldgelben Flüssigkeiten (statt Öl) gefüllt werden!
Kleinhöflein hat noch ein anderes “Kleinod”: den “Kümmerlingstein”.
Am Rande eines Sträßchens, das am Ortsende bergwärts in die Weingärten führt, steht ein recht kleiner, zerfurchter Menhir. Er sieht wirklich kümmerlich aus. Niemand würde sich für ihn interessieren, gäbe es nicht eine Geschichte, die ihn zum Hauptdarsteller macht:
Es war im Volk bekannt, dass sich dieser sehr alte Menhir vor dem ersten, der am frühen Morgen an ihm vorbeigeht, verneigt. Außerdem redet er angeblich, denn wenn man ihn fragt, was er hier mache, antwortet er: “Nichts!” (Leider war er bei meinem Besuch ziemlich redefaul…)
Ein Bub aus einer Weinhauerfamilie wollte es einmal genau wissen. Er legte sich an einem Sommerabend neben dem Stein schlafen, damit er nach Mitternacht unbedingt der Erste sei, vor dem sich der Stein verneigte. Die Wesen aus Wald und Flur waren aber offensichtlich schlauer als er. Ein Lachen weckte den Buben und er sah, wie sich der Stein vor einem alten Männchen verbeugte, der mit einer Weintraubenbutte vorüberging. Es war das legendäre “Leseähnl”, das mit einer Berührung die Trauben binnen Kurzem reifen ließ.
Wenn man in Kleinhöflein vorbeikommt, sollte man an den Ortsbeginn zum Kümmerlingstein gehen und ihn begrüßen. Seit vielen Jahrhunderten bewacht er die Hügel und zieht angeblich negative Kräfte ab. Aber nachdem er das ganz geheim machen muss, bleibt er bei seinem verschleiernden “Nichts!”
© Ulrike Sammer 2021-11-05