Ein Ton in der Stille

Klara-Maria Breitenstein

by Klara-Maria Breitenstein

Story

Die Nacht ist still. Aber nicht diese heilsame Stille, die wie eine Decke wärmt. Sondern die andere – die, in der jedes Geräusch zu laut ist. Das Knacken der Wand. Das Summen der Leitung. Mein eigener Atem, unregelmäßig, wie ein Takt, den niemand mehr mitgehen will.

Ich bin auf dem Boden eingeschlafen. Vielleicht. Vielleicht war ich auch einfach nur für Stunden bewegungslos – das kommt manchmal aufs Gleiche hinaus.

Als ich die Augen öffne, weiß ich nicht sofort, wo ich bin. Die Dunkelheit hat mich verschluckt, ganz. Ich spüre nur die Kälte der Fliesen unter meinem Rücken und das Ziehen in den Schultern vom falschen Liegen. Ich blinzele – nicht weil Licht da wäre, sondern aus einem Reflex, der sich weigert, ganz zu sterben.

Dann: ein Geräusch. Ganz leise. Ein einzelner Ton, wie ein zu tiefer Tastendruck auf einem alten Klavier. Dumpf. Gebrochen. Ehrlich.

Ich zucke zusammen. Mein Körper hat nicht damit gerechnet, dass noch etwas von draußen kommt. Es ist keine Stimme. Kein Ruf. Nur dieser Ton. Als hätte jemand irgendwo in einem anderen Zimmer eine Tasse abgestellt. Oder eine Tür leise geöffnet.

Mein Herz schlägt plötzlich spürbar. Nicht weil ich Angst habe. Sondern weil ich für einen winzigen Moment nicht ganz allein bin in der Welt. Ich weiß, es könnte alles sein. Ein Nachbar. Ein Tier. Der Wind.

Aber ich entscheide mich, es zu hören. Wirklich zu hören. Und es nicht einfach abzuwehren wie ein weiteres Hintergrundgeräusch.

Ich setze mich auf. Langsam. Meine Knochen protestieren. Als hätten sie das Sitzen verlernt. Oder das Wollen.

Ich taste nach meinem Glas, das noch vom Vortag auf dem Boden steht. Das Wasser ist abgestanden, aber es ist da. Ich trinke einen Schluck. Der erste heute.

Meine Gedanken stolpern. Ich erinnere mich plötzlich an einen Satz, den ich einmal irgendwo gelesen habe. Etwas über das Geräusch der Welt, wenn man still genug wird, um es zu hören. Damals habe ich gelächelt. Jetzt spüre ich, was gemeint war.

Vielleicht war dieser Ton nichts. Vielleicht war er alles.

Ich lehne die Stirn an die Wand. Sie ist kühl und ehrlich. Ich höre weiter in die Nacht hinein, als wäre sie ein Gedicht, das niemand laut vorliest, aber das trotzdem irgendwo existiert.

Und fĂĽr den Bruchteil einer Minute glaube ich, dass ich noch Teil davon bin.



© Klara-Maria Breitenstein 2025-07-12

Genres
Novels & Stories
Moods
Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll