by Denys Leluk
Ich habe mich sofort in Halle verliebt. Bei meinem ersten Aufenthalt schon. Damals stieg ich aus dem Zug aus und staunte. Der Bahnhofsplatz war verziert mit Graffiti vom Komponisten Händel, der eine Sonnenbrille trug. Aus seinen Ohren schossen Regenbögen und Noten heraus. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Die ersten Schritte brachten mich zum Riebeckplatz. Überall um mich herum waren Namen und Ablichtungen bedeutender Persönlichkeiten. Die vorbeigehenden Menschen waren leichtfüßig und bunt. Die Schwere, welche in anderen Großstädten Passanten begleitete, war nicht zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war, im Osten Deutschlands zu studieren. Keine grauen, zum Himmel ragenden Kolosse aus Beton. Es war gemütlich. Aber pulsierend. Die Stadt lebte. Und ich lebte nun in ihr.
Sechs Jahre später, zum Anfangspunkt dieser Erzählung, saß ich in meinem Zimmer und tat, was fünf Milliarden Menschen täglich taten. Ich schaute in das blaue Licht meines Smartphones, wischte endlos mit dem Daumen von unten nach oben und überflog Katzenfotos, Essensfotos, Finanzgurus, Lifecoaches, Schamanen und Werbevideos der Polizei, bei denen ein Kollege den Fußball auf die Genitalien des anderen Kollegen schießt und ein dritter Polizist in letzter Sekunde die Fortpflanzungsmöglichkeit seines Kameraden bewahrt.
„Witzig“ – sagte ich leise. Ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Mein Smartphone gab auf. Ich kam zu mir. Schaute auf meine Armbanduhr. Es war kurz nach acht, die Dämmerung machte sich bereit, einzusetzen. Ein Blick nach oben, dann um mich herum. Die 20 qm in meiner Wohnung waren in einen kleinen Nischenbereich aufgeteilt, in dem meine Küchenzeile stand, bestehend aus Mikrowelle und einem Zweierkochfeld sowie einem separaten Badezimmer. Immerhin mit einer Badewanne, in der ich seit fünf Jahren kein Bad mehr nahm und nur zum Duschen nutzte. Ich saß auf meinem großen, einfachen, sehr chaotisch aussehenden Bett. Neben mir mein kleiner weißer Kleiderschrank, in dem sich zwei weiße Hemden, Jeans, Sporthosen zum Nichtsportmachen, eine Weste und sieben T-Shirts befanden. Da jeder Waschgang drei Euro kostete, konnte ich so einmal die Woche waschen und hatte trotzdem immer etwas zum Anziehen. Ich war nicht smart, falls Sie das denken. Ich redete es mir schön. Denn mehr Sachen oder öfter Waschen konnte ich mir nicht leisten.
Ohne mein Smartphone, das meine Gedanken vorübergehend auslöschte, schossen alle von mir unterdrückten Ideen und Gefühle ungebremst durch meinen Kopf. Ein stechender Schmerz in der vorderen Stirn ließ mich zusammenzucken. Mein Herz pochte. Die Luft im Raum schien plötzlich verschwunden zu sein. Ich musste raus. Egal wohin. Ich musste durchatmen. Und begreifen, was da gerade passiert war.
© Denys Leluk 2024-02-17