Eine Weihnachtsgeschichte.

Thomas Vitzthum

by Thomas Vitzthum

Story
Korneuburg 2024

Es weihnachtet. Das ist in dieser Jahreszeit ĂŒblich und ich bin es gewohnt und bin nicht gestresst und bin nicht aufgeregt. Denn seit die Kinder aus dem Haus sind – damit meine ich meine Schwester und mich – hat das Fest der Liebe fĂŒr mich kontinuierlich an Bedeutung verloren. Als ich noch im Sozialberuf tĂ€tig war, habe ich immer an Weihnachten gearbeitet. Irgendwann wuchs dann in unserem Heim ein Lebewesen heran und ich habe die Schichten an Silvester ĂŒbernommen. Jetzt ist dieser Kerl wieder weg und meine familienfreundliche Frau plagt sich jedes Jahr aufs Neue mit der exponentiell wachsenden Empathielosigkeit ihres aus einer seltenen Metalllegierung hergestellten Cyborg-Oiden. Alle Jahre wieder jedoch graben aus den untersten, modrigen Schichten meines Hirnrindenmulches, oligophrene Neuronenreste mit ihren zittrigen Dendriten Verhaltensmuster aus und mein binĂ€res System startet ohne Nachzudenken das Programm „Weihnachtsputz“. Seit Jahrtausenden ist es unserem Sonnensystem ĂŒblich, dass sich Christkind/Weihnachtsmann/LBGTQ-Wesen keinen Legostein eintreten soll und schmerzerfĂŒllt mitsamt den an sich zuzustellenden Geschenken wieder aus dem nicht vorhandenen Staub macht. Verstehen Sie mich nicht falsch, mich stört Sauberkeit keines Wegs! Als ich alleine gelebt habe, war ich derart ordentlich, dass meine Behausung geglaubt hatte, sie wĂŒrde leer stehen. Mit Kind und Kegel wurde das dann eine Nuance komplizierter, irgendwann habe ich kapituliert und erfĂŒlle meine 50/50 Quote zum Leidwesen meiner Frau nicht zu 100 %.
In meinem Lokal jedoch habe ich das Sagen und zum Jahresende hin hat alles seinen Platz und könnte als Set fĂŒr die Serie „Monk“ herhalten. Im Rahmen der AufrĂ€umarbeiten habe ich einen vergessenen Sack Azukibohnen entdeckt und den Inhalt sofort eingeweicht. Ich leere die Bohnen in einen großen Topf und fĂŒlle ihn mit lauwarmem Leitungswasser. Die kleinen Bohnen tanzen im Wasser, tummeln sich wie frischgeborene Seehunde, manche lassen sich auf dem RĂŒcken treiben und starren vertrĂ€umt in den KĂŒchenhimmel. Eine jedoch krabbelt bis zum Rand nach oben und sucht offenbar das GesprĂ€ch.

„Host a Tschick?“, fragt sie mich, was ich verneine. „Hast du jemals neben Kichererbsen g®wohnt?“
Ich schĂŒttle meinen Kopf. „UnertrĂ€glich! De ham den ganzen Tag den Schlapfen offen und ziang se auf Insta Dadjokes eine. 24/7. 24/7! Berglinsen san ok, de gengan fruah ins Bett, Reis is sowieso tiefenentspannt, oba de Baggage is a Wahnsinn!“
„Das tut mir leid“, sage ich. Ich nehme die krakeelende Bohne in den Arm, tröste sie und trockne sanft die TrĂ€ne aus dem Bohnenauge, bevor ich sie, begleitet von einem Luftbussi, zu den anderen ins Wasser gleiten lasse.
Ich drehe nachdenklich das Licht ab, verlasse das Lokal und ĂŒberlege, was ich aus den Bohnen kochen werde.


© Thomas Vitzthum 2024-12-15

Genres
Humor & Satire
Moods
Emotional, Inspirierend, Funny
Hashtags