Einfach zum Meer werden

Emely Blumenberg

by Emely Blumenberg

Story

Im Hintergrund rauschte das Meer, sodass ich kaum hörte, dass ich weinte. Die Möwen kreischten, als kannten sie mein Leid und würden mich entweder trösten, oder ärgern wollen. Ich schaute zwischen meinen wehenden Ärmeln hindurch und betrachtete den grauen Sand. Dort waren Fußabdrücke. Ich schluchzte. Eigentlich fühlte ich mich gut am Meer, unbedeutend und klein, aber getröstet durch diese Last, die außerhalb des Alltags von den Schultern geweht wurde. Ich konnte andere Luft atmen, spürte jede Zelle das Salz in sich aufnehmen und größer, heller werden. Die brackige Duft der Ebbe und wie das Meer nie langweilig zu werden schien, obwohl es am Ende nur aus einem Sandstreifen und Wasser bestand. Ich fühlte mich leicht und frei und schön. Als könnte ich nur Schönheit durch meine Augen sehen, wenn ich mich klein und unbedeutend fühlte. Ich beobachtete ein Pärchen am Wasser, Hosenbeine hochgekrempelt und barfuß, Hand in Hand trotteten sie auf dem Sand und hinterließen Spuren ihrer Zweisamkeit. Für jeden zu verfolgen, bis das Meer sie wegspülen und Platz machen würde für neue Spuren, vielleicht noch ein paar kleinere dazu. Ich sah dem Pärchen zu, bis ich sie nicht mehr erkennen konnte, und schaute dann wieder nach vorne. Das Wasser schwappte in beruhigenden regelmäßigen Wellen an den Pfählen hoch und machte dieses Geräusch, für das so viele Menschen ans Meer kamen. Eine Haarsträhne wehte mir in den Mund und erinnerte mich daran, dass ich noch hier war. Hier konnte man leicht vergessen, dass man aus mehr als nur einer Brise und Salz bestand. Einmal kam eine ältere Frau vorbei und fragte mich, ob alles in Ordnung sei. Ich antwortete, welchen Grund sie hatte anzunehmen, dass etwas nicht in Ordnung sein sollte, und sie watete, so schnell sie eben konnte, weiter. Die Frau brachte mit ihren Füßen ein wenig Sand an meine Wade, der sich plötzlich sehr kalt und rau anfühlte. Trotzdem schüttelte ich ihn nicht ab. Die Haarsträhne hatte ich auch nicht aus meinem Mundwinkel gestrichen. Ich ertrank im Rauschen der Wellen, so sehr, dass ich schon fast die Enge in meinem Brustkorb spüren konnte, die man bekam, wenn man zu lange unter Wasser war. Zu viele Gefühle sammelten sich in meiner Brust, und ich ertrank sie. Ertrank sie in dem stechenden Salzwasser, so ewig und weit, dass niemand sie finden würde. Es half ein bisschen. Die Tränen verschwanden, meine Finger waren nicht mehr taub und meine Ohren hörten endlich dem Wind zu. Früher waren wir zusammen ans Meer gefahren. Es war ein Ort der Erinnerung und Nostalgie, der das Salz in der Wunde gleichermaßen brennen ließ und neutralisierte. Es tat unglaublich weh, dennoch war es der einzige Ort, der den Schmerz lindern konnte. Sie würden mir sagen, dass es nicht immer einfach sein würde, und ich würde ihnen glauben und weinen. Zum Glück blieb hier die Zeit stehen, konnte nichts gegen die Beständigkeit des Meeres ausrichten und es war in Ordnung, dass die Dinge nicht immer einfach waren, denn ich nahm sie nicht mit, ließ sie zu Hause, wo sie ein Problem vom Morgen sein würden. Ich öffnete die Augen. Die Frau hatte mich nur angesprochen, weil ich alleine am Strand saß, nicht etwa, weil ich dort weinend gesessen hatte. Das machte mich traurig und gleichzeitig nachdenklich. Ich hatte sie immerhin nicht dasselbe gefragt. Ich war allein. Aber das war nicht schlimm. Es war die Einsamkeit, die einen von innen verrotten ließ. Ich war einsam. Aber ich hatte das Meer, das ebenso einsam und trotzdem so wunderschön war. Vielleicht sollte ich einfach zum Meer werden. 


© Emely Blumenberg 2025-07-16

Genres
Novels & Stories