Einmal Star sein

Vanessa Grass

by Vanessa Grass

Story

Wir staunten nicht schlecht, als sich die Tempelanlage wie ein riesiger Berg aus Stein vor uns erhob. Die Morgensonne ließ den Tempel mystisch erstrahlen. Carsten zückte begeistert seine Kamera, nicht ahnend, was er heute noch so für Bilder schießen würde. Borobudur liegt auf der indonesischen Insel Java und ist die größte buddhistische Tempelanlage der Welt – ein Highlight unserer Reise.

Wir machten uns zielstrebig auf den Weg Richtung Eingang und wurden abrupt von einer mürrischen Indonesierin gestoppt, die uns mit strengem Blick in Tücher hüllte, um unsere nackten Beine zu bedecken. Damit hätten wir natürlich rechnen können. „Terima kasih“, sagte ich und lächelte entschuldigend. Wenigstens hatte ich mir die indonesischen Worte des Dankes gemerkt – die Sprache ließ sich leider von keiner mir bekannten ableiten und so verständigten wir uns oft mit Händen und Füßen.

Nun ging es aber endlich los. Wir erklommen die Stufen des Tempels und erreichten eine Plattform auf der Buddha-Figuren unter teils beschädigten Steinglocken saßen. Ich hatte gelesen, dass der Tempel lange Zeit in Vergessenheit geraten war und die Natur ihn derart überwuchert hatte, dass man ihn beizeiten nur als „Hügel“ bezeichnete, unwissend, was darunter lag.

Carsten machte ein paar Fotos von mir… Ich sah mich um und bemerkte, dass er nicht der einzige war. Ein indonesisches Mädchen in Schuluniform versuchte noch, ihr Handy zu verstecken und schaute ertappt drein. Ich zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts. Uns war bereits aufgefallen, dass die Indonesier fasziniert von unserer westlichen Erscheinung waren.

Ich schaute mir mit Carsten die Bilder an, da wurde ich angetippt.

Weitere Schülerinnen waren aufgetaucht und fragten mich in gebrochenem Englisch, ob wir ein Foto machen könnten. Ich fühlte mich geschmeichelt und stimmte zu. Was war schon dabei? Begeistert posierten die Mädchen um mich herum und plötzlich verselbstständigte sich die Situation. Jedes wollte nun Bilder mit dem eigenen Handy machen: Erst alle zusammen, dann einzeln und Carsten sollte uns natürlich auch fotografieren. Letzterer wurde derweil von einer Gruppe Schuljungen inspiziert. Schließlich fasste einer den Mut, ihn anzusprechen und mit ihm wurde eine ähnliche Prozedur durchgeführt.

Gleichzeitig fingen die Mädchen an „Interviews“ mit mir zu führen. Ich schaute sie verdattert an und grübelte, ob sie uns wohl mit irgendwelchen Stars verwechselt haben konnten. Dann verstand ich, dass dies eine Aufgabe ihres Lehrers war, um Englisch zu üben. Das unterstützte ich natürlich gerne und beantwortete brav alle Fragen.

Irgendwann waren alle zufriedengestellt und Carsten und ich wanden uns zum Gehen. Da stand eine Familie vor uns und fragte „Foto?“. Wir sahen uns an. Was hatten wir denn jetzt losgetreten? Aber wir wollten natürlich nicht unhöflich sein, also nickten wir lächelnd. Ob wir wohl in einem Familienalbum landen würden? Die Vorstellung belustigte mich.

© Vanessa Grass 2021-03-21

Hashtags