Einsam – Vater, Mutter, Kind

Amalien

by Amalien

Story

Jede Gelegenheit nutzt er, ihr zu erklären, das es allein seine Erziehung sie zu dieser mündigen Person trainierte, die ihm gerade widersprach. Er lachte und schien sich daran zu erfreuen. In diesem Moment fühlte sie etwas. Diese Emotion war grell wie eine Neonlampe. Es stimmte, sie lernte sich gegen Indoktrinierung jeder Art zu immunisieren – durch ihn. Er war der Grund ihrer typischen Eigenart und verborgene Innerlichkeit, die sie und die Welt trennte. Vater, Diktatur, Religion oder radikale Gruppen, das war gleich für sie. Allein sie zu schützen vor Männern wie ihm, gelang ihm nicht. Ihr Vater, der Allwissende, der stets Recht und Wahrheit sprach, würde eines Tages an der Einsamkeit, seiner Wahrheit bitterlich enden, wie ein Oktopus im leeren Aquarium unter Hochdruck zerplatzend von Innen. Dieses Ende kannte er nicht, es lag in der Zukunft. Im Moment stand seine sechs Jahre alte Tochter vor der Küche. Sie schaut räuspernd auf zu seiner zweiten Frau, mit den Mathematik-Hausaufgaben in den Händen. Fehlanzeige, stumm räumt die Alte in der Küche die Mittagsreste weg. Sie greift nach Eimer und Wischmopp. Kurz zum Kind aufschauend, schüttelt sie heftig den Kopf. Der Hinweis, dass das Kind zum Vater gehen soll – zu ihm. Er hatte Zeit. Seine Tochter verstand seine Rechenwege nicht. Sie waren länger als ihre im Arbeitsheft. Sie beendeten beide die Aufgaben letztendlich mit richtigem Ergebnis, doch schien ihm sie habe nicht viel verstanden. Er lässt sie in seinem Fernsehsessel Platz nehmen und setzt sich auf den Hocker gegenüber. Sein Gesicht rafft sich in markante Falten, taxiert sie mit wachem Blick. Sie haben beide dieselben hellen Augen. Sein Pokerface war exzellent. Er zündet sich eine Zigarette an. Den Rauch ausstoßend erklärt er: “Weißt du?”. Er pausiert, setzt wieder an: “Eines solltest du dir unbedingt merken im Leben! Halte dich fern von jeglicher Art Gruppen! Gleich ob Partei, Kirche oder irgendeine andere Organisation.” Er legt ihr seine linke Hand auf die Schulter, erhebt den Zeigefinger mit der Rechten. Seine Tochter fixiert gerade seinen Fluppenstummel zwischen Ringfinger und Kleinem Finger. Dort lugt die fast abgebrannte Kippe heraus. Während sie ihm zuhört, schweift ihr Inneres ab. Ihr Blick wirkt leer und verträumt. Eigentlich denkt sie an die Nacht vor drei Jahren. Die Glut nähert sich seiner Haut. Sie sieht es und wird unruhig. Ungerührt mit gekniffenem Mund redet er weiter auf sie ein: “Merke dir es! Sie sind alle gleich! Sei immer unabhängig! Stelle dich mit dem Rücken zur Wand! Behalte den Überblick! Sei unabhängig in deinem Denken und Handeln!” Vor ihrem inneren Auge steht sie im Nachthemd mit ihrem Lieblingsplüschbären vor dem Sofa im Wohnzimmer. Durch den Rauch in der Luft sieht sie ihren Vater eingeschlafen nach der Spätschicht, dort liegen. Der Fernsehapparat rauschte in Schwarz-Weiß. Die langen Gardinenvorhänge hatte bereits ein angesengtes Loch. Dann weckte sie ihn, da war sie fast vier und zum Glück schlief er nie tief genug. “

Jetzt ist Schluss!”, sagt er und unterbricht ihren Tagtraum. Zusammen schauen sie Nachrichten und den Sandmann. Sie geht ins Bett und er schaut weiter fern. Er trinkt dabei Kanne um Kanne Ceylon-Tee. Später wird seine Frau im Nachthemd, das Teelicht im Stövchen löschen, um den restlichen Tee in die Spüle zu kippen. Dann geht sie allein zu Bett.

© Amalien 2024-03-04

Genres
Novels & Stories
Moods
Emotional