by Hanna Wicke
Später Später 2
Es ist ein Jahr, in dem ich hauptsächlich Beobachterin meines eigenen Lebens und der Menschen um mich herum werde. Ich ertappe mich öfter dabei, wie ich auf unschöne Weise versuche Lücken in meinem Leben zu stopfen, die von allein heilen müssten und dabei Menschen vor den Kopf stoße, die das nicht verdient haben. Ich lerne allgemein eine Menge unschöne Dinge über mich, gestehe mir ein, wie schlecht ich darin geworden bin allein zu sein, gehe mit Menschen aus, die ich nicht mag und darüber mit mir selbst immer wieder ins Gericht. Die schönen Momente sind die, gegen die ich mich oft wehre. So sitze ich Ende des Jahres beispielsweise einige Stunden in dem kleinen Cafébereich im Thalia, in dem auch die Lesung mit der Zeige- Mittelfingerfrau stattgefunden hatte und warte auf meine Boosterimpfung. Dabei habe ich einen Block mit Logik und Zahlenrätseln. Ich bestelle eins dieser Brötchen deren Belag undefinierbar, aber vegan und irgendwas mit Apfel ist und einen Chai Late gegen den ich mich lange gewehrt habe. Während ich die nächsten Stunden Kästchen fülle, höre ich drei Junges am Nachbartisch zu. Sie sehen alle ein bisschen nach Bikergang aus, zwei von ihnen haben ihre blonden Freundinnen dabei, die nicht viel sagen und nichts essen. Geredet wird über Corona, darüber dass Haie echt zahm sein können, dass Politiker immer Arschlöcher sind und auf Netflix auch nichts Gutes mehr läuft. Einige Male muss ich mich stark zurückhalten nicht laut zu lachen und als die Gruppe geht, suche ich mir einen neuen Tisch aus in dessen Gespräche ich eintauchen kann. Als ich an diesem Abend nach Hause komme, geht es mir so gut wie selten. Komischerweise aber wiederhole ich das Ganze nicht. Ebenso wenig wie die eine Yogastunde, zu der mich eine Freundin überredet hat und die wirklich gut war. Ich denke mir, ich müsste Dinge, die mir guttun öfter tun, aber tue dann lieber nichts. Mitte des Jahres frustriert mich das sehr. Ich gehe einige Male mit einem wirklich netten Mädchen aus und wir verstehen uns sehr gut, aber ich bin nicht mit dem Herzen dabei. Wir bleiben trotzdem Freunde.
Flashback
Du kauerst. Unter dem Tisch. Weinst laut. Die Kleine ist verstört, sie spricht dich an, aber du reagierst nicht. Dann fragt sie mich, wieso du so traurig bist. Ich nehme sie an der Hand und gehe ins Nachbarzimmer, mache die Tür hinter ihr zu, weil es mir das Herz bricht, dass sie dich so sieht. Du sagst, die Kleine würde mich ja sowieso mehr mögen als dich und wenn du jetzt einkaufen gehst und nicht zurück kämst, dann hättest du dich wohl vor einen LKW geschmissen. Ich verbringe diese Stunden mit der Kleinen In ihrem Zimmer. Deckenburg. Du gehst einkaufen und kommst wieder.
© Hanna Wicke 2022-08-15