Elisabeth Schlesinger führt ihre Drogerie in der dritten Generation und sagt in unserem Podcast ganz deutlich, dass sie diese schwierige Aufgabe ihrem Vater zu Liebe übernommen hat. Sie hätte für sich einen anderen Lebensweg gewünscht.
Trotzdem ist sie heute eine stolze Drogistin, die ihren Job mit großer Leidenschaft und hoher Kompetenz erledigt. Anders könnte sie gegen die starke Konkurrenz der Super- und Drogeriemärkte gar nicht bestehen.
„Trotzdem“ ist ein interessantes Wort. Ist das, was danach kommt gut oder schlecht? Kann man für sein eigenes Leben festlegen, was gut und schlecht war? Hatte der Vater recht, als er sich dachte, sie soll es „trotzdem“ machen, obwohl sie es eigentlich nicht will, weil der Familienbetrieb mühsam aufgebaut wurde und jetzt auch weitergeführt werden soll? Hatte die Tochter recht, als sie sich dachte, ich mache das dem Vater zuliebe, weil ich weiß, dass sein Herz am Betrieb hängt, und ich könnte sowieso nicht glücklich werden, wenn er unglücklich ist? Ich bleibe also „trotzdem“ im Familienbetrieb, obwohl ich eigentlich gerne etwas anderes machen würde.
„Trotzdem“ etwas machen ist kein Kompromiss, sondern etwas ganz anderes. Also keine Kleinigkeit. Kann man das empfehlen?
Elisabeth Schlesinger wird nie wissen, wie ihr anderes Leben geworden wäre. Für ihren Sohn war ihr aber von Anfang an klar, dass er beruflich seinen Interessen nachgehen soll, auch wenn er dafür ins Ausland gehen muss. Er soll die Freiheit leben, die sie nie gehabt hat.
Die Schwierigkeit liegt auch darin, dass man nicht weiß, ob der Vater recht gehabt hat. Im Prinzip wollen ja die Eltern immer das Beste für die Kinder und der Vater hat vielleicht gar nicht gedacht, dass es für sein Wohlergehen das Beste ist, wenn die Tochter den Betrieb übernimmt. Er hat vielleicht gedacht, dass es für sie das Beste ist, weil sie sich schon gut auskennt, sich anderen nicht unterordnen muss und als eigene Chefin alle Entscheidungen selbst treffen kann.
Vielleicht hat er sich auf die Zusammenarbeit mit der Tochter in der Übergangsphase gefreut, wenn er manche Aufgaben noch selbst übernehmen kann. Auch der Austausch über fachliche Themen innerhalb der Familie kann durchaus inspirierend sein, und es ist ein gutes Gefühl, wenn man sich zum Wohl der Firma noch als Vater beratend einbringen kann.
Wir wissen nicht, was sich der Vater gedacht hat, und wir können ihn auch leider nicht mehr fragen. Im Leben bleibt oft viel zu viel Unklares zurück. Man kann dem nur begegnen, wenn man klar und offen mit den Menschen spricht, die einem wichtig sind.
Elisabeth Schlesinger hat das mit ihrem Sohn gemacht, und er wird ihr dankbar dafür sein. Gelernt hat sie diese Klarheit aus ihren eigenen Erfahrungen, wo sie diese vielleicht schmerzlich vermisst hat. Die größte Leistung eines Menschen liegt darin, wenn er sich nicht so entwickelt, wie er geprägt wurde, sondern aus eigener Kraft einen anderen Weg für die nächste Generation findet.
© Norbert Netsch 2021-08-23