Ende des Lichts – Teil III

Jelena Moesus

by Jelena Moesus

Story

»Du«, sagte Skea hohl. Monate für diesen Moment und was sie fühlte, war einzig tiefe Erschöpfung.

»Du bist weit gereist«, erwiderte die Stimme des Orakels. Sie schien mal jung, mal alt. Mal männlich, mal weiblich, aber immer absolut unmenschlich.

»Die Geschichten sagen, du bist allwissend. Manche glauben sogar, du wärst allmächtig.«

Ein Windstoß kräuselte die Oberfläche des Sees; er klang wie ein tiefes Seufzen. »Eine Zukunft zu sehen hat wenig Bedeutung, wenn die kleinste Entscheidung eine neue Version der Ereignisse erschaffen kann.«

Skea hatte keine Energie für verschlungene Worte und ihre Welt hatte keine Zeit. »Ist es aufhaltbar?«, fragte sie also. »Das Ende des Lichts? Das Sterben der Welt?«

»Ich habe unendlich viele Versionen der Zukunft dieser Welt gesehen. Alle enden mit dem Tod der Sonne. Mit Dunkelheit.«

Jegliche Kraft verließ Skea. Sie sank auf die Knie, wo sie stand und vergrub den Kopf in ihren Händen. Umsonst. Alles umsonst. Amitia war fort und sie hatten ihre letzten Monate mit einem hoffnungslosen Unterfangen verschwendet. »Wozu?«

Für einen Moment blieb das Orakel still. »Du trauerst um deine Gefährtin.« Skea antwortete nicht. Hass auf die Stimme loderte in ihrer Brust auf wie die Flammen um Amitias Körper. »Wisse, dass es nicht umsonst war. Egal wie das Schicksal spielt, eure Wege scheinen immer entschlossen, sich zu kreuzen. Eure Seelen wollen sich finden.«

Skea hob den Kopf. »Was meinst du damit? ›Immer‹?« Wie in Antwort flackerte einer der Ringe. Licht blitzte durch die Höhle und mit einem Mal verstand Skea, dass es sich um Portale handelte. Ein Bild tauchte auf, flüchtig und doch klar zu erkennen: eine junge Frau an einem Tisch, umgeben von Menschen in einem seltsamen Raum. Skea konnte den fremdartigen Geräten keinen Sinn abgewinnen, doch warmes Licht fiel von der Decke und ein Lufthauch brachte einen süßen Duft. Das Bild verschwand, bevor die junge Frau den Kopf vollständig heben und ihre Blicke sich treffen konnten. »Ein anderer Ort?«, fragte Skea.

»Eine andere Welt«, erwiderte das Orakel. »Eine parallele Welt.« Skea schloss die Augen. Sie war so müde. Menschen sprachen über den Preis, den man zahlen musste, um das Orakel zu besuchen: ein Teil der eigenen Lebenskraft. Aus irgendeinem Grund hatte sie gedacht, sie würde verschont bleiben. Hatte gedacht, sie hätte den Willen sich zu widersetzen. Aber sie war so müde. Sie hatte kaum noch die Kraft, ihren Oberkörper aufrecht zu halten. Die Stimme des Orakels war leise, als es fortfuhr. »Falls es dir ein Trost ist, wisse, dass es unendlich viele Welten gibt.« Ein warmer Windhauch strich durch Skeas Haare, wie Amitias Finger es immer getan hatten. »In manchen bist du sogar glücklich.«

Lichter tanzten vor ihrem inneren Auge. In der Luft lag der Klang von Amitias Lachen. Als die Dunkelheit kam, hieß Skea sie willkommen wie eine lang ersehnte Umarmung.

© Jelena Moesus 2022-08-29

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