Den bachabwärts vom Lainzer Tor gelegenen Ententeich im Laufe der letzten sechzig Jahre unzählige Male umrundet habend, weiß ich zwar von diesem Gewässer als solchem nicht viel zu berichten, eine Menge aber von dem an seinen Ufern Erlebten oder Erlebbaren. Seit ich Goethes, mehr noch Schuberts „Gesang der Geister über den Wassern“ kannte, schien mir dies ein Ort zu sein, auf den etwas darin Gesagtes, mehr noch Gesungenes zutrifft: „Und in dem glatten See weiden ihr Antlitz alle Gestirne.“ Auch ganz irdische Augen werden des Anblicks nicht müde, selbst wenn er sich ihnen zwei Jahrzehnte lang Sonntag für Sonntag bietet. Meine (mittlerweile verstorbene) Lebensgefährtin hatte darin das perfekte „Platzerl“ entdeckt, an dem man in guten Zeiten Freude, in schweren Zeiten Trost findet – letzteren suchte dort offenbar auch ein melancholisch wirkender Graureiher, dessen Erscheinung uns besonders entzückte.
Das Areal ringsum, von allen mit „Naherholungsgebiet“ assoziierten Entstellungen bislang verschont geblieben, ist wie ein großer, ungepflegter, etwas verwilderter Garten, den man, statt darin zu verweilen, zügig durchschreitet. Hier freilich hofft man, alles wieder so vorzufinden, nicht durch „Gartenpflege“ geschönt wie die nahen Kleingärten. Diese kommen einem, mag man auch sonst auf Ordnung bedacht sein, vergleichsweise öd vor. Die Blicke zieht’s auf den Teich, über den man in Gedanken wandelt – ein transzendenter Spaziergang.
Was diesen Ort zu einem außergewöhnlichen macht, ist wohl das unvermittelte Nebeneinander von streng Geometrischem (der Teich hat eine klare Rechteckform) und völlig Ungeordnetem (keinerlei „Landschaftsarchitektur“ rundum). Darin mag man etwas Gleichnishaftes erkennen. Aber auch ohne sich dessen bewusst zu sein, entwickelt der eine oder andere eine besondere Beziehung zu diesem atypischen Garten, fühlt sich in ihm „zuhause“ und litte, wenn er ihn verlöre. Sterbenskrank, ungestützt zu gehen außerstande und das nahe Ende spürend, ließ meine Konsortin keine Woche verstreichen, ohne sich von mir um den Teich schleppen zu lassen, und fühlte sich hier wohl wie nirgends sonst. Einmal sagte sie, es wäre ihr am liebsten, wenn man sie am Ende da hineinwürfe. Und so gehe ich an ihrem Todestag, um ihr im Transzendenten zu begegnen, an den Ententeich, nicht an ihr Grab.
© Michael Walch 2021-04-16