Es war nicht leicht mit ihm.
Es war zu wenig Zeit da, um ihn richtig kennen zu lernen.
Es hätte alles ganz anders kommen können.
…und ich bin ihm trotzdem so unheimlich ähnlich…
Mein Papa ist im Jahre 1936 in einem kleinen Dorf im Burgenland zur Welt gekommen, das Nestscheisserl bei den Nestlangs. Er war ein lieber Bub, immer ein wenig kränklich und immer ein bisserl schwächer als die anderen Buben in seinem Alter. Aber er hatte zwei ältere Schwestern und einen großen Bruder, die auf ihn geschaut haben. Ausserdem war der Berti – sein Name war Albert – kein Feilgling. Ihn haben sie, wie Steinberg russisch besetzt war, in den Wald geschickt, den dort versteckten Wodka und die Zigaretten zu stehlen. Dafür durfte er dann auch schon mal ein Schluckerl kosten.
Das mit dem “Kosten” hat er sich beibehalten, auch als die Russen schon längst wieder abgezogen waren und er zum jungen Mann wurde. Der Alkohol war und blieb sein bester Freund. Er war der Mittelpunkt jeder Wirtshausrunde, mit seinen Geschichten und seinem Schmäh, und die Mädchen mochten ihn auch, mit seinen blonden Haaren und den grünen Augen, und tanzen konnte er wirklich großartig.
Mit 15 Jahren wurde er das erste Mal am Darm operiert. Die Ärzte haben seinen Eltern damals empfohlen, dass sich “der Bub” gesünder ernähren soll, nicht zu fett, nicht zu schwer, kein Bier, usw. Das Verständnis war dafür nicht besonders groß und der Berti hat sowieso gemacht, was ihn gefreut hat.
So kam er zu einer Ehefrau Nr. 1 und der Scheidung kurz danach. (Da muss ich meinem Papa gleich Danke sagen, ohne ihn wäre ich die einzige Geschiedene in dieser Familie.) Mit Ehefrau Nr. 2 hatte er dann mehr Glück. Meine Eltern haben aus Liebe geheiratet und immerhin 2 gelungen Töchter zusammengebracht (naja, also bestimmt eine, meine Schwester ist nämlich großartig).
Einige von den schlechten Angewohnheiten hat der Berti leider aus der Heimat importiert, der Gang zum Wirten nach der Arbeit, das liebe Bier, die “guten Freunde”, die sich immer Geld ausgeborgt haben. Das war allerdings bei uns daheim auch Mangelware.
Der Kummer war vorprogrammiert. Die Mama hat den Haushalt gemacht und uns aufgezogen, der Papa ist jeden Tag betrunken vom Wirten nach Hause gekommen. Mama wurde dicker, Papa wurde abhängiger, ich wurde verwirrter und meine Schwester – selber auch noch klein – hat mich behütet, wenn daheim mal wieder gebrüllt und gestritten wurde.
Er starb, als ich noch keine 10 Jahre alt war. Er ist an einem Darmverschluss in Folge von Morbus Hirschsprung gestorben. Er war erst 43 Jahre alt. Er hätte vielleicht auch älter werden können, wenn er mehr auf sich geschaut hätte, aber so war er nicht veranlagt.
Ich vermisse ihn, ich hätte ihm so gerne gesagt, wie blöd das alles von ihm war. Ja sicher, man darf sein Leben selbst bestimmen, aber ehrlich, das war es doch nicht wert. Er war nicht da, um mir in meiner Jugend auch einmal den Kopf zu waschen und mich vor Dummheiten zu bewahren. Dabei hätte ich ihn echt oft brauchen können.
HDL
© Edith Nestlang 2020-04-04