Erziehung zum rechten Mann, 1.

Philip

by Philip

Story

Lüge Deine Mama niemals an! Das forderte Mama mit besorgter Stimme und mit ihren braunen leuchtenden Augen, mit denen sie – so schien es mir – wohl bis in den verstecktesten Winkel meiner Seele zu sehen vermochte. Nein Mama, ich hab dem Nestler Fritzi den Sparerschlüssel nicht weggenommen! Fritzis Sparbüchse hatte die Form einer Hundehütte mit dem Bild einer Bulldogge davor, die ihre Zunge ausstrecken konnte, um eine Münze aufzunehmen, die sie dann nach Betätigung eines kleinen Hebels lautstark ins Innere der Sparbüchse verschlang. Da auch ich zum Spielen im Haus von Fritzis Großmutter war, als er uns diese Sparbüchse vorführte, verstanden es sein Halbbruder Beb und die anderen schon älteren Spielgefährten, uns beide gegeneinander aufzuhetzen; ich wurde hinfort als Sparerschlüsseldieb bezeichnet.

Im Jahre 2002 erhielt ich ein Schreiben, mit welchem die Ministranten unter unserer Einschulungsklasse einluden, am 50-jährigen Klassentreffen der VS Atzbach, Jahrgang 1942 teilzunehmen. Warum nicht? Sagte meine Frau, der ich ja diese Gegend bereits einige Jahre vorher gezeigt hatte. Ich erkannte auch jedes einzelne der Kinder auf dem mir übersandten Klassenfoto aus dem Schuljahr 1949/1950 wieder. Am Klassentreffen selbst fehlten dann auch 15 Mitschülerinnen und Mitschüler, die inzwischen verstorben oder (unbekannt) verzogen sind.

Was, Aloisia W. das blonde Mädchen neben unserem damaligen Riesenmädel Kapsamer wurde in Weigensam ansässig? Da ich aus der Liste der am Klassentreffen teilnehmenden Personen überdies Fritzis Familiennamen neben ihrem las, ahnte ich, dass ich auch den Nestler Fritzi im Rahmen dieses Treffens wiedersehen würde. So geschah es auch; und bei diesem Treffen – also nach mehr als 50 Jahren – gestand mir Fritzi, dass schon am nächsten Tag der mir unterstellte Diebstahl des Sparerschlüssels sich als falsch herausstellte, weil der Schlüssel einfach auf dem oberen Sims von Großmutters Kachelofen abgelegt worden war. So ein Schuft, dachte ich mir! Jetzt kann ich meiner Mama den Beweis für meine Ehrlichkeit nurmehr beim nächsten Besuch ihres Grabes in Linz erzählen.

Überdies nahm an diesem Klassentreffen auch die Lehrerin Annemarie K. teil, die ja die erste Lehrerin in meinem Schülerleben war. Ob Sie sich an mich noch erinnern könne? Ich sei jener Schüler der es bereits im ersten Semester auf 20 entschuldigte Schulhalbtage gebracht hat! Die K. verlangte einen weiteren Hinweis auf den ersten aus dem Klassenbuch. Na ja, wir mussten die ersten Buchstaben mit gekrümmten Linien – nämlich U – schreiben. Da kam ich in Schwierigkeiten, weil ich ja bereits von Geburt an zitterte. Sie sagten damals, wenn du die U nicht schön schreiben kannst Konrad, dann brauchst du gar nicht mehr in die Schule zu kommen. Als Kind habe ich dieser Anordnung Folge geleistet. Da ist mir ja als Lehrerin ein schlimmer Fehler passiert! Den die Zeit geheilt hat, denn Sie sind der eine von 2 Akademikern aus dieser Klasse.

© Philip 2021-05-24

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