Falsche Blickwinkel

Philipp Maschl

by Philipp Maschl

Story

„Ja, aber warum schreiben die das dann?“ Diese Frage höre ich in dieser Stunde bereits das dritte Mal. Mein Blick ist auf den zu kleinen Bildschirm meines Laptops gerichtet. 18 SchĂŒlerinnen und SchĂŒler blicken mich – teilweise gelangweilt, teilweise interessiert – im Zoom-Call an. FĂŒr mich ist es einer von vielen virtuellen Schulbesuchen, die ich seit einiger Zeit mache.

In meinen Workshops geht es um Fake-News. Die Jugendlichen bekommen auf ihr Smartphone tĂ€glich MĂŒll. Informations-MĂŒll von Menschen, die mit Fake News Geld verdienen, ihre kruden Ansichten verbreiten oder die einfach nur Spaß daran haben, wenn sie Angst und Panik damit auslösen. Offenbar auch bei der SchĂŒlerin, die mir seit Minuten Antworten abringt, Es ist schwer, wertfrei ĂŒber Falschmeldungen zu sprechen, Journalisten sollen ja neutral sein, informieren und nicht urteilen. Jugendliche glauben aber die Geschichten, die sie lesen, immerhin werden sie jeden Tag mit Fake News im Netz konfrontiert. FĂŒr Journalisten ein Horror. Aufwendig recherchierte Stories kommen bei den SchĂŒlerinnen erst gar nicht an, Fake News landen hingegen jeden Tag am Smartphone Display. „Wenn du eine Überschrift liest, die wirklich arg klingt, wischst du dann weiter runter und liest die ganze Story?“ – „Nein, ich teil‘ das dann oft“.

Ein Muster, das immer wieder vorkommt. Kein Wunder. Wir lieben Geschichten, nicht nur die, die gut ausgehen. Wir wollen auch Dinge begreifen, fĂŒr die es vielleicht gar keine Lösung in diesem Moment gibt. Die vergangenen Monate haben diesen Drang – Dinge begreifbar zu machen, sie erklĂ€ren zu können – wohl verstĂ€rkt. Irgendwie auch verstĂ€ndlich. Wir leben in einer anderen Welt, wo uns ein scheinbar unsichtbarer Feind bedroht. Ein perfekter NĂ€hrboden fĂŒr Fake News, die meist Dinge erklĂ€ren, fĂŒr die es sehr komplexe Antworten gibt.

In meinen Workshops zeige ich den SchĂŒlerinnen nicht nur Werkzeuge, um LĂŒgen in Medien aufzudecken, ich zeige ihnen auch, wie schwer es ist als Journalist alle Blickwinkel einer Story, zu beleuchten. Ein Ding der Unmöglichkeit. Da stoßen wir an unsere Grenzen. „Wir brauchen also mehr Meinungen?“, fragt ein SchĂŒler. Klar brauchen wir die, wir haben nur nicht immer genug Zeit, diese Meinungen einzuholen. Wir können nur versuchen, einen möglichst großen Bereich auszuleuchten, um eine Geschichte möglichst objektiv darzustellen.

Nach zwei virtuellen Stunden blicke ich weiter in die Gesichter von Jugendlichen. „Schon arg, wie einfach man auf so Fakes reinfĂ€llt“, will eine der SchĂŒlerinnen noch einmal in die Diskussion kommen. Sie war es, die mit Freundinnen ĂŒber falsche Nachrichten öfter Streit hatte. Von der Lehrerin wird mein Workshop aber abrupt beendet, es wartet die Mathematikstunde.

Ich verabschiede mich, in der Hoffnung zumindest ein paar Jugendlichen die Gefahren von Fake News nĂ€her gebracht zu haben. Denn auch ich denke mir oft beim Lesen von Onlineportalen: „Ja, aber warum schreiben die das dann?“.

© Philipp Maschl 2021-08-19

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