Ich knie im Halbdunkel vor dem Parfumregal und sprühe mir alles Mögliche auf Arme, Haare, Kleidung und Parfum-Testerstreifen. Dann stecke ich ein paar von den Testern ein. Damals hat man noch richtig schöne Probefläschchen gemacht, nicht diesen faden Einheitsbrei wie heute. POÈME. Trésor. Lancôme Ô. Wenn ich vom damaligen Arbeitsplatz meiner Eltern spreche, spreche ich immer von der Parfumerie. Diese war eigentlich, in der Welt der Erwachsenen, nur ein Anhängsel der Apotheke, die das Hauptgeschäft ausmachte. Aber für mich kam immer zuerst die Parfumerie. Hell und freundlich ausgeleuchtet bei Tag, mystisch und geheimnisvoll, sobald die Lichter ausgingen, so empfand ich sie damals. Diese wunderschönen Flaschen, von jeder Marke gab es verschiedene Größen und manchmal auch das dazu passende Duschgel oder die Bodylotion. In den Regalen am Eingang glitzerten Armreifen und Halsketten, und im Obergeschoss gab es Bademode und Umkleidekabinen, im Keller lagerte die Auslagendeko, Hüte, Schwimmreifen, Schilder. Ich spielte stundenlang in der Parfumerie.
„Na, bist wieder mal in die Parfumflasche gefallen?“, sagt Johanna und lacht, immer, wenn ich von meinen Streifzügen zurückkomme. Auch das ist eine Gemeinsamkeit von Oma– von Johanna– und mir. Wir lieben schöne Sachen. Parfumfläschchen, Schmuck, diverse hübsche Dosen, Cremes, Kleidungsstücke. Mehr als zwei Jahre nach ihrem Tod werde ich mir – äußerst widerwillig, aber es muss eben sein– mit dem grauslichen Wattestäbchen in die Nase fahren lassen, nur um eine 48h lang gültige Genehmigung zu erwirken, zum Frisör, zur Massage und zur Fußpflege zu gehen. Wer hätte je gedacht, dass sich ein Haarschnitt jemals so revolutionär anfühlen würde?
„Kann ich das so tragen?“, fragt Johanna oft, wenn sie nach langem Studium ihrer Kataloge ein neues Kleidungsstück bestellt und erhalten hat. Oft zieht sie sich zwei- oder dreimal um, bevor sie dann tatsächlich das Haus verlässt. Und treibt damit verlässlich die meisten Menschen in ihrem Umfeld in den Wahnsinn. Aber sie will halt wissen, ob sie gut ausschaut. Ich kann das nachvollziehen.
Auch in der Seniorenresidenz wird Johanna immer noch auf regelmäßigen Haarschnitt, Fuß- und Handpflege im Frisörstudio im Erdgeschoss bestehen.
Sie merkt es immer sofort, wenn ich die Haare anders habe oder ein neues Kleidungsstück trage. Selbst nach dem Schlaganfall, als sie lange Zeit kaum sprechen kann und ihre Sehkraft zu schwinden beginnt. Sie nimmt meinen Arm und fühlt das Material der neuen Bluse. „Schön ist das“, sagt sie.
© Gabriele Weissenegger 2021-06-19