Fragment 7: No( r ) way

Gabriele Weissenegger

by Gabriele Weissenegger

Story

„Geil, hier könnt‘ ich für immer leben. Keine Leute hier und immer schön kalt.“ M. steht an der Reling und rückt sich die Kapuze tiefer ins Gesicht, während sie eine Grimasse für die Kamera schneidet. „Jetzt brauch ich nur noch einen Millionär, der mich heiratet. Oder ich muss irgendwo ein paar Millionen gewinnen. Ich meine… Schau dir die Preise an, oag, oder?“, meint sie später, als wir im Regen-Sonne-Regenwetter am Hafen von Bergen entlangspazieren.

Wir essen den besten und gleichzeitig teuersten Fisch unseres Lebens. Spazieren am Meer und durch die Wälder, lassen uns das Regenwasser und den Wind durch die Haare fahren, rechnen permanent mit dem Smartphone Kronen in Euro um und malen uns gegenseitig in Kosmetikshops mit Make-up-Testern an. Wir schauen uns in Auslagenfenstern von Immobilienagenturen Wohnungen an, die alle irgendwie stylish aussehen, auch wenn sie nur mit Ikea eingerichtet sind. Fast so, als gäbe es ein norwegisches Design-Gen, das die Wissenschaft halt einfach noch nicht gefunden hat.

Die zwei Schlafzimmer in unserem Airbnb sind schnell aufgeteilt: M. mag kühl und unten, ich hell und oben. In unserem Stadthäuschen mitten in Bergen ziehen wir uns abends nach unseren Erkundungstrips Süßigkeiten, Chips und Bier rein, ohne erkennbare Reihenfolge oder Respekt für ausgewogene Ernährung.

Auch Johanna liebt es zu reisen. Noch mit weit über 80 klettert sie mit ihrem Sohn in Indonesien herum, ächzt in der Wüstenhitze von Oman und sammelt alle Postkarten, die ich ihr später von meinen eigenen Reisen schicke.

„Ist das nicht gefährlich?“, fragt sie später oft, wenn wir verreisen. Sie wird vorsichtiger im Alter, aber man merkt, es interessiert sie alles. Johanna reist weiter und zieht dabei immer kleinere Kreise. Unsere letzte gemeinsame Familienreise führt uns 2011 ins Burgenland. Mehr geht leider nicht mehr.

Auch ihr Mann Fritz reiste immer gerne, grundsätzlich. Aber es müssen organisierte Tagesreisen sein, vom Apothekerbund oder der lokalen SPÖ-Fraktion. Oder Johanna sagt ihm, wo sie hin will. Nach dem Krieg kann er keine Entscheidungen mehr treffen. Ein Tagesprogramm mit genauen Uhrzeitangaben in den Händen zu halten, beruhigt ihn. Alles ist geregelt, alles auf einmal bezahlt, und es gibt immer einen Reiseleiter, den man fragen kann. Abfahrt. Besichtigung. Mittagspause. Rückfahrt. Und dann wieder zu Hause sein. Im eigenen Bett schlafen.

Für Opa war Norwegen das Land, in dem er jahrelang in Kriegsgefangenschaft war, bevor er im Winter 1949 endlich nach Hause kommen durfte.

Orte alleine haben keine Bedeutung. Sie warten noch nicht mal auf irgendwen. Orte sind einfach. Wir sind es, die sie mit Bedeutung aufladen.

© Gabriele Weissenegger 2021-06-29