Es ist weit über 40 Jahre her. Wir arbeiteten in einer wirklich tollen Firma, deren Erzeugnisse weltweit gefragt waren. Entsprechend erfolgreich wurde in zahlreiche Länder exportiert. Gerne denken die noch Lebenden an die Zeit von damals zurück. Es wurde nicht nur straff gearbeitet, sondern auch gemeinsam gefeiert. Betriebsfeste, Betriebsfahrten und was eine gute Firma ausmacht, alles das bereicherte den Arbeitsalltag. Oftmals wurden auch Späße gemacht und Spitznamen verteilt. Betreffende besaßen mehrheitlich Humor und zeigten Größe, zumal es nicht böse gemeint war. Tratsch und Klatsch blieben mitunter nicht aus, jedoch war es meistens schnell vergessen. Neue Themen standen an. Zusätzliche Arbeitseinsätze festigten die Gemeinschaft. Wurde der Exportplan pünktlich erfüllt, gab es für die jeweiligen Kollektive zusätzliche Gelder. Besonders fleißig und gerecht war dabei unsere »Braut«. Sie, groß, hager, mager, manchmal mit zu viel Bartstoppeln im Gesicht und Haaren auf den Zähnen, gab den Ton an und pfiff die Männer und uns mächtig an, putzte alle herunter. Dabei nahm sie nicht mal ein Blatt vor den Mund, wenn sie Abteilungsleiter oder Direktoren vor sich hatte. Ihr Fachwissen war für das Betriebsgeschehen sehr wichtig und unverzichtbar. Sie hätte gut und gerne als Schiedsrichterin beim Fußball agieren können. Jedoch war sie auf die attraktiveren und chancenreichen Frauen und Mädchen nicht gut zu sprechen. Sie konnte dabei einen richtigen Giftstachel ausfahren, was sich als puren Neid erwies. Es wurden ihrerseits Dinge vermutet, die niemals wahr sein konnten. Man brauchte nur im Bus neben einem Kollegen sitzen und sich intensiv unterhalten. Oder noch schlimmer. Viele von uns fuhren täglich zur Arbeit mit Bus und Zug. Wenn wir an einer Haltestelle stehend, von Kollegen gesehen wurden, hielten sie an und nahmen uns in die Firma mit. Kamen andere Frauen oder ich morgens mit dem PKW der Kollegen in den Betrieb, so hieß es gleich, wir hätten ein Betriebsverhältnis mit ihm. Abends das Gleiche. Den Männern wurde auch sonst etwas unterstellt. Es gab sie, diese Seitensprünge, das war keine Frage! Die das betraf, stellten sich allerdings viel geschickter an. Mein Spitzname war Schnell-Läufer. Wenn Kunden abholen kamen, flitzte ich durch die Hallen, ins Lager und wieder zurück. Muss jetzt noch lachen, wenn ich daran denke, was mir geschah, als ich mit einem Stapel Frachtpapieren zur Packerei flitzte. Wie immer sehr hohe Absatzschuhe an, übersah ich die Einstiegsschwelle, blieb hängen und knallte auf den Betonboden. Die Frachtbriefe und Stückgutscheine flatterten drinnen und draußen umher. Hatte ich zu tun, ehe sie aufgesammelt waren. Zum Glück wehte nur Wind, Regen fiel nicht mehr. Jedoch schien es mir, als ob ich für etwas bestraft worden war! Das passierte mir, wenn mich schlechte Gedanken überfielen. Frankensteins Braut hatte sich von mir eine Bluse geliehen. Sie wurde zu einem Speziallehrgang delegiert.
© Elisabeth-Christine Kayser 2022-03-29