by Horst Sammet
Es gibt sie, gute Träume und Alpträume. Viele werden gleich wieder vergessen, andere verfolgen mich tagelang. Neulich haben wir den Film Gevatter Tod gesehen und danach noch gut 1 Stunde bei einem Roten darüber gesprochen. Jeder von uns hatte seine Meinung über diesen Film. Das Geheimnisvolle an diesem Märchen ist die Szene mit dem Kerzenmeer des Lebens.
Es gewittert und lange hallt Donner nach, als wir zu Bett gehen und uns unter die Decke kuscheln. Der Rotwein hat uns müde gemacht und wir schlafen schnell ein. Ich träume mich in eine liebliche Landschaft und mit einem Korb voll Rosinenweckerl marschiere ich froh und gutgelaunt über Felder und Wiesen. Mein Weg führt mich zu meiner Liebsten, die einen Marktstand hat und auf frische Ware wartet und während ich so gehe, singe und jodele (seit wann kann ich das?) ich. Ein Mütterlein sitzt am Wegesrand und jammert: Ich habe mir den Fuß verstaucht und leide Hunger. Lieber Wandersmann, hilfst Du mir? Ich gebe der Frau gleich 3 meiner Rosinenweckerl und setze mich zu ihr, mache noch eine Flasche Roten auf und schaue mir ihren Fuß an. Als ich ihr aufhelfe, stützt sie sich auf eine Sense, die ein Totenkopf schmückt. Ich bekomme es langsam mit der Angst zu tun und will weglaufen, aber die Frau hält mich fest. Ich bin Frau Hippe und wer mich sieht stirbt, aber bei Dir mache ich eine Ausnahme, weil du mir so lieb geholfen hast.
Auf einmal ist vor uns eine rote Tür zu sehen, die sich öffnet. Wir gehen hindurch und stehen vor einem Fluß, auf dem tausende Schiffchen, die je eine Kerze – kleine und auch große – tragen, schwimmen. Frau Hippe sagt zu mir: Schau, hier kommt gerade Deine Kerze. Ich ergreife sie und und sage: Da werde ich aber noch lange leben, aber wo ist die Kerze meiner Liebsten? Sie holt eine sehr kleine Kerze aus dem Kerzenmeer heraus und meint: Dein Schatz wird bald sterben und wird von mir geholt. Nein, rufe ich, das darf nicht sein! Was kann ich tun, um ihr Leben zu verlängern? Frau Hippe schaut mich an und meint: Deswegen zeige ich Dir das, aber eine Lösung musst Du selbst finden. Überlege gut!
Ich hole ein Messer aus der Tasche, schneide von meiner Kerze ein gutes Stück ab, nehme die kleine Kerze meiner Liebsten und verlängere sie. Nun sind beide gleich lang und dürfen zurück in den Fluß. Frau Hippe reicht mir die Hand, gibt mir einen Kuss auf den Mund und sagt: Das war eine sehr gute Idee und weg ist sie.
Donnerschlag weckt mich auf, es ist kurz nach Mitternacht und ich gehe ins Wohnzimmer, um das Fenster zu schließen. Da sehe ich auf dem Tisch ein Schiffchen mit zwei farbigen Kerzen stehen, daneben ein Zettel, auf dem steht: Ihr Lieben, Euer Leben könnt ihr selbst bestimmen und nur, wenn die Kerzen brennen, werdet Ihr älter. Das Schöne ist, ich werde euch beide gemeinsam holen, irgendwann einmal – Liebe Grüße Frau Hippe.
Ein Blitz erhellt den Raum und beim nächsten Donner flitze ich zu meinerLiebsten ins Bett und verstecke mich ganz tief unter der Decke. Diese wilden Träume müssen aber bald aufhören – Gute Nacht!
© Horst Sammet 2022-01-13