So gerne ich Edgar an dieser Stelle die Schuld dafür geben möchte, wie es in meinem Oberstübchen aussieht, so sehr weiß ich auch, dass ich den Zustand mehr zu verantworten habe als er. Die Kisten sind zweifelsohne mein Verdienst. Ich sammele einfach unglaublich gerne. Seien es nun Erinnerungen, Fähigkeiten oder unnützes Wissen. Ich bin diejenige, die dort oben für alles einen Platz sucht und findet. Und zwar freiwillig. Ich bin auch diejenige, die sich nicht trennen möchte. Zumindest nicht, solange ich noch etwas Positives an einer Sache finde. Und leider bin ich eine hoffnungslose Optimistin, die selbst eine alte Visitenkarte romantisiert.
Wenn Edgar es mir oft schwer macht Konflikte anzusprechen, so bin immer noch ich die, mit der Handlungsgewalt sie zu lösen. Er sagt mir schließlich nur, was ich hören möchte, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Ich mache mir selbst etwas vor, wenn ich behaupten würde, er könne mich davon abhalten. Er kann mich bloß darauf hinweisen, wenn etwas zu sehr im Ungleichgewicht liegt. Wie ich damit jedoch umgehe, liegt bei mir.
Vielleicht ist er auch kein komplett schlechter Einfluss auf mein Leben. Selbst wenn ich mit Sport anfange, um ihn in Schach zu halten, hat es trotzdem auch noch andere positive Auswirkungen auf mich. Wenn er meine To-do-Liste in Schnipsel schneidet und versteckt, bin ich gezwungen mich immer nur auf eine Sache zu konzentrieren. Und komischerweise flattert mir meist, der Schnipsel mit der höchsten Dringlichkeit zu.
An manchen Tagen könnte ich auf einen Mitbewohner, der mietfrei in meinem Oberstübchen wohnt, wirklich mehr als verzichten. Ich wüsste auch unglaublich gerne, wie es wohl wäre, wenn man keinen Mitbewohner hätte, der ständig ein Gedankenkarussell in Gang setzt und zu Streitereien anstachelt. Und dazu noch einen katastrophalen Filmgeschmack hat. Aber an der Situation kann ich nichts ändern. Und wenn man etwas nicht ändern kann, kann man zumindest Wege finden, damit zu leben, oder sogar positive Seiten an der Situation zu finden. Mein Glück ist, dass ich Edgar mittlerweile sehr gut kenne. Ich weiß, dass Sport besser wirkt als Alkohol, dass er ein pathologischer Lügner ist und, dass es offenbar sein liebstes Hobby ist, mich auf die Palme zu treiben. Wenn auf die Palme getrieben zu werden, allerdings dafür sorgt, dass man in Urlaub fährt, hat er vielleicht nicht nur schlechte Absichten.
Was ich damit wohl sagen möchte ist, dass er genauso zu meinem Oberstübchen gehört wie die Kisten, die Fotoalben, meine Dachschäden, das Kopfkino und der ständige Bedarf nach einem Tapetenwechsel.
Ich muss mich wohl einfach damit abfinden, dass dort oben eine Zwangs-WG herrscht. Selbst dann, wenn ich mal nicht alle Tassen im Schrank habe, weil ein Poltergeist sich um zwei Uhr nachts einen Kaffee macht, ist es dennoch einfach wie es in meinem Oberstübchen läuft.
© Vanessa Smiatek 2023-08-31