Ich hatte meine Tasche nach einem Stift durchwühlt und schließlich einen alten schwarzen Eyelinerstift gefunden. Die Filzspitze schien schon beinahe ausgetrocknet zu sein, aber für meine Zwecke reichte es noch aus. Auf der Rückseite eines wahllosen Zettels begann ich mit kratzendem Geräusch zu zeichnen. Musste die geschwungenen Linien mehrmals nachfahren, damit genug Tinte an die vorgesehene Stelle kam. Und nach ein paar Linien, graste dort ein kleines Schaf, schwarz auf weiß. Es lag vor mir auf dem Linoleum, umgeben von hunderten kleinen Flocken oder noch kleineren Schafen, und wartete mit mir.
Als die Tür das nächste Mal geöffnet wurde, blickte ich von unten auf ein Bettende, das unsanft in meine Richtung geschoben wurde. Ich hob eilig das Schaf vom Boden auf, damit es nicht überrollt wurde und stand dann ganz unbeholfen da. Der Mann im dunkelblauen Kasack lenkte das Bett, parkte es ein, rammte es erst mit einer Ecke an die hintere Wand, dann gegen den Rollcontainer. Ich stand dort, in den Händen das Papier mit dem Schaf und sah unbehaglich zu. Als das Bett stand, trat er mit etwas zu viel Schwung auf die Fußbremse. Ein Ruck ging durch das ganze Bett, dann sagte er, Tschüss, und die Tür knallte hinter ihm ins Schloss, die Tür erbebte, die Wand erbebte, dann wieder Stille.
Ich stand immer noch unbeholfen am Fußende des Bettes, klammerte mich an das Schaf und blickte ganz vorsichtig und nun doch erleichtert auf den schwach atmenden Haufen gestreifter Bettwäsche. Ich wusste nicht, woher das Zögern kam, näherzukommen. Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper, den man hier abgestellt und dann vergessen hatte.
Leise ging ich ein paar Schritte zu meinem Stuhl und nachdem ich auch vor diesem noch einen Moment hilflos gestanden hatte, setzte ich mich hin. Und ich saß dort eine Weile, bevor ich mich traute zu sprechen.
“Ich hab’ jetzt ein Schaf für dich”, sagte ich und dachte, dass diese Aussage unglaublich verwirrend klingen musste. Er reagierte kaum, nur ein leichtes Seufzen aus der Decke. Ich sah nur seinen Haarschopf und einen Teil der Stirn herausschauen. “Ich stell’ dir dein Schaf hierhin, ja?” redete ich weiter. “Es ist ab jetzt immer da. Ich lehne es an die leere Wasserkanne an, damit du es sehen kannst, wenn du dich drehst”, und während ich sprach, versuchte ich das dünne Blatt Papier so zu drapieren, damit es nicht sofort umfiel, wenn das nächste Mal jemand die Tür zuschlagen würde. Dann saß ich wieder eine Weile, beobachtete nur das Auf und Ab der Decke, hörte sein Atmen und Murmeln und fühlte mich so verloren.
“Wir könnten dem Schaf einen Namen geben.” überlegte ich laut in die Stille hinein. “Sowas wie Horst oder Joseph.” Ich ging im Kopf ein paar Namen durch, schüttelte bei ein paar den Kopf, bei anderen musste ich leicht grinsen. “Du hast recht”, sagte ich dann. “Horst und Joseph sind absolut keine guten Namen für ein Schaf. Wie wär’s mit Einar oder Gunnar?” Ein langes Seufzen erklang aus der Decke, es klang nach Schmerz und doch schlief er weiter. “Vielleicht ist das ja aber auch überhaupt kein männliches Schaf”, überlegte ich dann. “Vielleicht brauchen wir einen weiblichen Schafnamen.” Ich starrte auf die Zeichnung, um einen Anhaltspunkt für das Geschlecht zu finden, Ich hatte keinen gezeichnet. “Du musst dir einen Namen ausdenken, wenn du wieder wach bist”, schloss ich mein Selbstgespräch. “Denn es ist dein Schaf.”
© Helena Singer 2025-08-31