by Caroline
Wer hätte das gedacht? Meine Füße verfolgen einen Plan. Hatte ich bis vergangenen September gedacht, dass ich selbst Herrin meines Körpers sei. Oder zumindest achtsame Bevollmächtigte. So wurde ich in den letzten fünfeinhalb Monaten eines Besseren belehrt. Alles begann mit einer harmlosen Stufe. Tausende Male war ich bereits über diese Treppe gelaufen. Mal schneller, Mal langsamer. Hinauf und hinunter. Doch diesmal sollte es anders verlaufen.
Ich stieg ins Leere.
Wie genau, kann ich gar nicht mehr sagen. Ich fand mich schnurstracks am Boden wieder. Mit eingeschlagenem rechten Bein und einem Schmerzensschrei. So einfach. So kompliziert. Denn auch jetzt, fünfeinhalb Monate später, kann ich noch nicht normal gehen. Ein Talus-Bruch ist eine langwierige Sache und mein Bein scheint mir vieles sagen zu wollen.
Es zeichnete sich bereits im Gipszimmer ab. Als ich nach dem Rettungstransport und der Diagnose OP noch unter Schock stand und den ersten Gips angelegt bekam, spürte ich es bereits. Da ich den Vorderfuß nicht zum Körper hinziehen konnte, legte sich der Mann, der mich behandelte, kurzerhand meinen Fuß aufs Herz. Das mag nun eigenartig klingen. Doch er drückte damit den Fuß sanft aber bestimmt an seine Position. Das Schöne daran: Ich konnte sogar seinen Herzschlag spüren. Und einen kurzen Moment war ich einfach nur berührt, von dieser unspektakulären und doch so tröstlichen Geste. „Fuß aufs Herz“. Das war mein erster Gedanke. Und er wurde irgendwie zum Motto meiner Reha.
Meine Füße flüsterten mir in dieser Zwangspause viel Bewusstheit über gemischte Gefühle zu: Die Hilflosigkeit. Die Abhängigkeit. Das Wartenmüssen. Schmerzenaushalten. Oder die Ungewissheit, ob es jemals wieder so werden würde, wie früher. Ob ich jemals wieder mit meinem Hund über Wiesen und Felder würde laufen können. Und gleichzeitig diese große Dankbarkeit: Für die Fürsorge meiner Familie. Das Kümmern meiner Liebsten. Aufgehoben sein. Sicher sein. Teil eines funktionierenden Gesundheitssystems zu sein. Verletzlich sein zu dürfen. Schwach sein zu dürfen.
Je stiller mein Fuß hielt, umso wacher wurden meine Gedanken. Umso mehr klärte sich der Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart. Umso mehr hörte ich auf mein Herz. Konnte ich ankommen.
Habt ihr euch das so gedacht, liebe Füße? War das der Plan?
Auch wenn der Prozess der Rehabilitation von vielen Auf- und Abs gekennzeichnet war und ist: Von schwieriger Mobilisierung nach drei Monaten verbotener Belastung, 100 Thrombosespritzen, schmerzenden Schrauben, einer zweiten OP, Nervenentzündung, Unklarheit über die Ursachen und diesem Ausbalancieren von „Gasgeben und Schonen“. Ein mitunter zermürbender Prozess. Es schleicht sich doch die Überzeugung ein, dass alles gut so ist.
Meine Füße verfolgen einen Plan. Vieles durfte ich mittlerweile erkennen. Und auch, wenn ich nicht ganz sicher bin, ob ich alles richtig verstanden habe, so vertraue ich darauf: Sie wissen, was sie tun.
© Caroline 2021-03-07