Mein Mann und ich wurden nicht nur von den spektakulĂ€ren, oberirdischen Steinen angezogen, sondern auch von einigen geheimnisvollen ErdstĂ€llen.Als Erdstall wird ein von Menschenhand geschaffenes unterirdisches Gangsystem bezeichnet. Der Begriff âErdstallâ bedeutet âStĂ€tte unter der Erdeâ oder âErd-Stollenâ. Die GĂ€nge sind meist winkelig angeordnet, bis zu 60 cm breit und 1,0 bis 1,4 m hoch. In vielen ErdstĂ€llen gibt es auch sogenannte Lampennischen sowie zumeist kammerartige Erweiterungen und Sitznischen. Die ErdstĂ€lle wurden wĂ€hrend der Rodungs- und Besiedlungsperiode im Hochmittelalter errichtet. Sie sind etwa 800 bis 1000 Jahre alt. Anhand von Funden lĂ€sst sich bestimmen, wann die ErdstĂ€lle errichtet und genutzt wurden.
Der Zweck der ErdstĂ€lle ist unklar. Es gibt zwei Thesen, die einander gegenĂŒberstehen: Kult- oder ZufluchtsstĂ€tten. Die KultstĂ€tten-These geht davon aus, dass es sich um einen vorĂŒbergehenden Aufenthaltsort der Seelen von Verstorbenen handelt, an dem sie die âWartezeitâ bis zum âJĂŒngsten Gerichtâ verbringen wĂŒrden. Der ZufluchtsstĂ€tten-These zufolge wurden ErdstĂ€lle als Verstecke angelegt, in denen gefĂ€hrdete Personen etwa bei ĂberfĂ€llen âwie vom Erdboden verschlucktâ verschwinden konnten. Viele ErdstĂ€lle weisen Bauelemente auf, die nur bei einer Deutung als Zufluchtsort sinnvoll erklĂ€rt werden können, etwa Verriegelungsvorrichtungen, die ausschlieĂlich von innen bedient werden können. Auch Nischen, BĂ€nke und Luftlöcher in ErdstĂ€llen weisen auf die Verwendung als Aufenthaltsort von Menschen hin.
Die fĂŒr ErdstĂ€lle typischen hautengen Schlupfe bewirken einen wirksamen Schutz gegen Eindringlinge. Die engen, winkeligen GĂ€nge zwingen Eindringlinge, sich einzeln und in kriechender Stellung fortzubewegen. Beim Durchqueren der Engstelle ist ein Eindringling in seiner Bewegungsfreiheit deutlich eingeschrĂ€nkt und kann seine HĂ€nde nicht zu seiner Verteidigung verwenden. Hinzu kommt, dass er den engen, dunklen und verwinkelten Gang vor sich im Gegensatz zum Verteidiger nicht kennt. So sind Eindringlinge einem Verteidiger hilflos ausgeliefert und können sogar von einem deutlich schwĂ€cheren Gegner ĂŒberwĂ€ltigt werden. Die engen und leicht zu tarnenden Einstiege belegen die Geheimhaltung der Anlage.
Mein Mann und ich hatten schon etliche und auch sehr gruselige ErdstĂ€lle gesehen. Der bei Perg in Oberösterreich gefiel uns aber am besten. Wir bekamen sogar eine PrivatfĂŒhrung vom Kustos des Museums. Der Erdstall ist diesmal in den Sandstein hinein gehauen und ĂŒberaus ausgedehnt. Angenehmerweise kann man oft aufrecht stehen. Es gibt etliche RĂ€ume, GĂ€nge, einen Kultplatz (vom RadiĂ€stheten GĂŒnther Kantilli gemutet) und zwei sonderbare âWĂ€chterâ in Form von Gesichtern.
Nachher wurden wir auch noch zu einer Erdwohnung, die bis 1980 bewohnt war, gefĂŒhrt.
© Ulrike Sammer 2021-02-21