Gene oder Erziehung

Elisabeth Adensamer

by Elisabeth Adensamer

Story

Wenn es darum geht, das Verhalten von Kindern zu beurteilen, zeigt es sich, dass die Menschen, die selber keine Kinder haben, oft besonders gut wissen, wie die lieben Kleinen zu behandeln, beziehungsweise zu erziehen sind.Ich war da keine Ausnahme. Ich wusste genau, wie ich es machen würde, wenn ich einmal Kinder haben würde, was ich vor allem nicht machen würde. Wie bei einem Kuchenrezept, man nehme …und schon hat man das liebe, brave, glückliche Kind, genau nach den eigenen Vorstellungen.

Dann bekam ich meine eigenen Kinder und zuerst funktionierte es genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Man erklärte, warum etwas gemacht werden sollte. Reden, reden und noch einmal reden, war unsere Maxime. Hätten wir nur ein Kind gehabt, so wäre meine These zu 100 Prozent bestätigt nämlich, dass Erziehung ALLES sei.

Aber es kam Gott sei Dank Kind Nummer zwei, das mich lehrte, dass ich mit all meinem “Erziehungskram” nichts erreichte. Erklärungen interessierten sie überhaupt nicht, ausprobieren war alles und „Ich will,” zog sich durch den ganzen Tag. Oft wusste ich nicht, wie ich den Tag zu Ende bringen sollte. Kind Nummer drei lieferte ein nächstes Modell. Die Dritte hing an meinem Rockzipfel, ich hatte manchmal das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Dann war bei uns Schluss mit dem Kindersegen. Eine Mutter von sieben Kindern teilte mir mit, dass sich die verschiedenen Typen wiederholten.

Jetzt schaue ich auf neun Enkelkinder und meine These “Erziehung ist alles, Gene sind zu vernachlässigen” kann ich nicht mehr aufrechterhalten. Das Interessante ist, dass sich bestimmte Eigenschaften oft schon bei einem Säugling von ein paar Wochen zeigen. Ich hätte zum Beispiel nie geglaubt, dass so ein Mini-Baby schon zornig sein kann. Ich habe viel gelernt beim Zuschauen, wie sie groß werden, wie sie sich entwickeln, die lieben Kleinen. Alles, was bei einem klappt, ist beim Nächsten zu vergessen.

VORSICHT, vor allen, die so gut wissen, wie andere ihre Kinder erziehen sollten oder noch schlimmer, die genau wissen, warum die Kinder von Frau B. so sind, wie sie sind. Sie kommen auch manchmal mit unterschiedlichsten Thesen an. Von zu wenig Liebe ist da die Rede, zu wenig Zeit für die Kinder. Oft wird als Grund für Verhaltensauffälligkeiten auch die Berufstätigkeit der Frau angenommen. Seltsam, dass besagte Kinder oft schon dieses Verhalten an den Tag legen, bevor die Mütter noch berufstätig sind. Vielleicht ahnen sie schon das nahende Fehlverhalten ihrer Mütter, wer weiß?

Kurz und gut mit 63 Jahren stehe ich mit der Einsicht da:

*alles ist möglich,

*meine ganzen Thesen bezüglich dieses Themas sind von mir nicht mehr zu halten,

*und bitte nicht den Versuch starten, nach einer Schuld für das Fehlverhalten der Kinder zu suchen. Dafür nehmen gerne die Mütter die Schuld auf sich.

Alle Erziehenden wollen es gut machen und bemühen sich, ihr Bestes zu geben. Und eine gelungene Erziehung braucht auch eine gehörige Portion Glück.

© Elisabeth Adensamer 2020-01-26