by Hanna Roth
Die erste Erinnerung, die ich an die Person habe, die ich für diesen Text interviewt habe, ist ein zentraler Gedanke daran, was es bedeutet, in einem Studentenwohnheim zu leben. Obwohl ich mit meiner Mitbewohnerin sehr zufrieden war, gab es eine Sache, die ich an dem Wohnheim nicht mochte. Die Leute waren sehr still, und in den Gemeinschaftsräumen wie der Küche sprach niemand mit einem, bis auf wenige Ausnahmen. Eine davon war ein Mädchen aus Gambia namens Fatou, die mit Cashewnüssen kochte. Ich war und bin sehr neugierig auf Essen aus anderen Ländern und fragte meine Kommilitonin, welches Gericht sie zubereitete. Fatou schenkte mir auch eine ganze Pfanne mit gerösteten Cashewnüssen, die ich in meinem Zimmer genüsslich verzehrte. Das war eine dieser Situationen, in denen man wirklich lernt, menschliche Freundlichkeit auf unerwartete Weise zu schätzen. Fatou erzählt mir von einer Welt, die mir völlig fremd ist. Sie ist in der Stadt Kololi an der afrikanischen Atlantikküste aufgewachsen, hat scharfe Okra-Suppe mit Fisch gegessen und Wolof als erste Sprache gesprochen. Das Mädchen spricht von einem Haus, das nach schwarzem Tee riecht und schmeckt und nach Churray duftet, einem gambischen Kulturelement. Ich erfahre von ihr, dass es sich um ein Tongefäß mit Asche handelt, in dem man wie zu Hause Weihrauch verbrennt. Als sie Bilder ihrer Eltern in Nachtclubs erwähnt, bin ich erstaunt. Fatou lacht und nennt ihre Mitbürger aus Gambia “rebellische und moderne Muslime”, die Nagellack tragen, nicht immer ein Kopftuch verwenden und auf Partys gehen, aber niemals ihre Gebete aufgeben. Es gibt viele gemischte Familien in ihrem Land, in denen Christen und Muslime gleichermaßen vertreten sind. Da Bildung in ihrem Land nicht kostenlos ist, musste Fatous Familie seit ihrer Kindergartenzeit für ihren Schulbesuch bezahlen. Sie erklärt, dass Bildung dort, wo sie herkommt, ein Privileg und kein Recht ist und dass sie viel durchmachen musste, um dorthin zu gelangen, wo sie jetzt ist. Fatou lebt jetzt in der Nähe einer ihrer Onkel in Wien und erzählt mir, dass der Austausch und das Zusammensein mit der Familie unbezahlbar ist. Die gambische Kultur ist nicht individuell, sondern neigt dazu, Freude und Leid zu teilen, was ihre Gemeinschaft zusammenhält und ihnen hilft, zur Ruhe zu kommen. Dieses Mädchen ist glücklich, wenn sie andere Menschen zum Lächeln bringt und ihnen hilft. Ihr Ziel ist es, den Menschen in ihrer Umgebung positive Erfahrungen zu vermitteln, neugierig zu sein, zu lernen, zu wachsen und zu entdecken. Wir beenden das Interview mit einer Charakterisierung, die Fatou von sich gibt: Sie sagt, sie sei ein Mädchen, das trotz aller Widrigkeiten dorthin gelangt ist, wo sie heute steht. Sie sagt jedem von uns, dass wir trotz aller Hindernisse unseren Träumen folgen und mutig sein sollen. Eine Person muss ihren Weg gehen, um dorthin zu gelangen, wo sie sein möchte. Ich halte diese Aussage für sehr wichtig, denn viele von uns wachsen mit einer großen Anzahl von Privilegien auf, derer wir uns nicht bewusst sind, wir beschweren uns und nutzen unser Potenzial nicht, weil wir Angst haben oder faul sind. Von Fatou habe ich gelernt, dass wir immer Kämpfer:innen sein müssen und dass ein Lächeln (und ein paar Cashewnüsse) uns im Leben sehr weit bringen können.
© Hanna Roth 2024-03-15