Liebes Tagebuch,
Gestern fuhr ich spontan zu meinem Vater, ich beschloss den Tag zu schwänzen und einfach zu sehen, was der Tag so bringen mag. Ich war bereits früh wach und verpasste nur ganz knapp den Sonnenaufgang. Ich machte mir einen Kaffee, den ich 10 Minütchen abkühlen ließ, denn ich mag meinen Kaffee schwarz und lauwarm. Dann ging ich unter die Dusche und zog mich an. Zuerst ein Top, dann eine Jeans, einen dünnen Pullover und dann einen etwas dickeren. Ich schmiss mich in die DocMartens, die ich 3 Jahre zuvor in einem Secondhand -Shop ergattern konnte und war immer noch erfreut darüber, wie günstig ich diese erworben hatte. Dann zog ich mir einen schwarzen Mantel über und ging aus der Türe.
Ich schlenderte eine ganze Weile umher. Keine Musik, keinen Podcast. Ich genoss die Ruhe und blieb erst nach einer Stunde an einem Geschäft stehen, welches ich bereits kannte. Dann, nachdem ich 10 Minuten vor der Türe herumlungerte, ging ich rein. Es war mir unter meinen Klamotten zu warm und stickig, aber ich wurde herzlich, von einer sehr warmen Frau, begrüßt.
Die Dame hieß Maria und ihr gehörte nun das Geschäft, sie war Anna’s Nachmieterin und verkaufte Mode, bevor sie diesen Laden übernahm. Die Schmuckstücke gefielen ihr so gut, dass sie ihre Werke nach ihrem Tod weiterverkaufen wollte, erzählte sie mir beiläufig. Sie war also tot. Meine Gedanken schossen nur so los, als hätte man einen Schalter in meinem Kopf umgelegt.
Ich war nie in ihrem Laden, hörte mir nie an, warum sie diesen Laden so liebte. Was wäre gewesen, wenn ich mich mal wieder zu ihr ins Café gesetzt hätte? Was wäre gewesen, wenn ich nochmal ein letztes Gespräch mit ihr geführt hätte?
Ich vergoss eine Träne und Maria schaute mich mitfühlend an. „Ja Liebes, sie ist gegangen.“, sagte sie. „Ich kannte sie nicht mal so gut.“, antwortete ich und bemerkte wie absurd diese Situation war, ich verstand ja selbst nicht mal warum ich weinte. Sie lächelte und sagte „Es ist nicht entscheidend wie gut oder lange du jemanden kennst, entscheidend ist, wer das hier berührt.“ Sie tippte auf ihr Herz und nahm mich in ihre wohlig, warmen Arme.
Als ich herausging schaute ich an meiner Hand herunter, an welcher ich ein Tütchen hielt. Ich lächelte. Ich mochte die Kette schon immer. Es war der erste schöne Tag im Oktober.
© Anja M. Breuer 2022-08-30