Es war der letzte unbeschwerte Sommer. In einem kleinen Alpendorf waren zwanzig Zelte aufgebaut. Hunderte Kinder rannten lachend umher. Ich schmierte mir zwei schwarze Linie auf jede Wange und band mir eine schwarze Binde an den Arm. Wir spielten aufregende Spiele im Wald. Ich steckte mir Federn ins Haar, war dreckig, verschwitzt und unendlich glücklich.
Im Sommer darauf lag ich, statt in den kalten Schlafsack getuschelt, im sterilen Krankenhausbett. Schwanger wollte ich noch ein letztes Mal an dem Camp teilnehmen. Es kam anders. Ich wurde stattdessen an diesen weißen, kalten Ort gebracht und war eine OP-Narbe und einen kleinen, früh-geborenen Sohn reicher.
Jeden Tag griff ich am Morgen als erstes zu meinem Handy und las den neuesten Blogeintrag vom Camp. Ich betrachtete die Bilder und klammerte mich an die Erinnerung und die Tatsache, dass es diesen Ort noch gab, voller unbeschwerter Glückseligkeit. An dem Ort, wo mein Herz, wie auf Flügeln, sich Richtung Himmel erhob und flog.
Wieder einen Sommer später stand ich auf diesem Zeltplatz. Mein Herz sang eine bittersüße Melodie. Süß waren die Erinnerungen, die es hervorbrachte. Bitter waren die Erkenntnisse, dass diese unbeschwerten Sommer vorbei waren. Auf diesem staubigen Platz stieß ich einen tiefen Seufzer aus und ließ meine Schultern sinken. Mein Blick wanderte zum Boden, zum Wald, langsam zum Himmel und zurück.
Mein Blick fiel auf Etwas, dass auf dem ausgetretenen Boden lag. Ich bückte mich und betrachtete es genauer. Verdreckt und zertrampelt, lag da eine Feder. Ich hob sie hoch, betrachte sie und als ein kräftiger Windstoß kam, ließ ich los. Der Windstoß trug die Feder hinfort. Sie segelte durch die Lüfte und verschwand hinter einem Hügel.
Ich blickte ihr nach und mein Herz sang wieder diese bittersüße Melodie und die Strophen, die sich nach unbeschwerter Freiheit sehnten. Freiheit trägt viele Namen, Kleider und Gerüche. Meine Freiheit riecht nach Gras, Dreck, Schweiß. Sie trägt sich leicht, wie ein luftiges Seidenkleid. Sie lacht unbeschwert und tanzt mit Federn im Haar.
Es war der letzte unbeschwerte Sommer meines bisherigen Lebens.
© Verena_Silvia 2022-06-13