Glückskeks

Marina Markétha Kowalski

by Marina Markétha Kowalski

Story

Das ist eine ungünstige Zeit, um aus einer Depression aufzuwachen, meinte Fred, sehr ungünstig.
Oh, sagte ich und rieb mir die Augen, das tut mir leid. Was passt denn nicht?

Es ist eher die Zeit, um in Depression zu fallen, meinte er. Jetzt depressiv werden, ist okay und ganz selbstverständlich. Suizidversuch vielleicht oder einfachere Formen der Autoaggression.
— Kenn ich doch, meinte ich.

Ja, aber zum falschen Zeitpunkt. Du machst alles falsch. Jetzt! Jetzt wäre es günstig. Jetzt könntest du mit vollem Recht der Welt den Rücken kehren. Ich selbst kann das nicht, bin unfähig dazu. Zuviel verkrampfter Lebenswille. Himmel, du hast das ja nicht mitbekommen. Nichts hast du mitbekommen. Du hast die schönste Zeit in Depression verbracht und öffnest die Augen und strahlst mich an zu einem Zeitpunkt, wo die Welt im Wahn versinkt. Donald Trump ist wieder da, auferstanden in grellen Irrwitz. Er hat per Dekret den Klimawandel abgeschafft, will Kanada annektieren und schmust mit Putin. Der Faschismus kriecht aus den Sümpfen aufs Festland.

Möchtest du mein Glückskeks?, fragte ich und schob es ihm hinüber. Er knackte es auf uns las vor: Die beste Möglichkeit, Träume zu verwirklichen, ist aufzuwachen (Voltaire). Du meine Güte, was macht Voltaire in einem chinesischen Glückskeks? — Das ist hübsch, meinte ich, und passt. Ich wache fertig auf, esse meine Frühlingsrolle und verwirkliche einen Traum. Jetzt du! Dein Glückskeks.

Fred knackste es auf und entrollte das Papier. Dann verzog sich sein Mund zu einem Grinsen. Dann lachte er. Es klang schrill. Ja, genau, schrie er fast und die Leute sahen her. Dann las er leise: Allein die Wahrheit kann die Menschen immer noch erstaunen. — Er sah mich an. — Könnte. Sie könnte die Menschen erstaunen. Aber es gibt keine Wahrheit mehr. Die hat Donald Trump auch per Dekret abgeschafft. Wahrheit ist tot, vergiftet und ins Grab getreten. Die Menschen bezweifeln jede Wahrheit und verkünden sich ihre eigene. Dazu müssen sie lügen. Und sie wissen, dass sie lügen. Heute wird gelogen, um der eigenen „Wahrheit“ zum Sieg zu verhelfen.

Danke, Fred, danke dass du mir ein Update gibst und mich in die Jetztzeit einführst. Ich war die letzten Jahre nicht im Koma, bloß tief in mir drinnen. Dort hat man auch Augen. Dort gibt es auch Glückskekse. Unglückskekese auch. Ich habe viele Unglückskekse geknackt und die Sprüche gelesen. Ich habe alles, was du sagst, wahrgenommen aus einer Perspektive der Dunkelheit. Wenn man im Dunklen sitzt und die Welt wird grau, dann ist es wie Sonnenaufgang. Das ist mein Paradoxon. Ich erwache in einen Morgen. Per eigenem Dekret.

Welchen Traum wirst Du verwirklichen, fragte Fred. — Mich selbst. Ich klettere entlang meiner Himmelsleiter hinauf zu mir selbst. Die Welt muss ohne mich untergehen. Wenn du magst, kannst du auf meine Insel kommen.

Hm, sagte er und schmunzelte. Dann wären wir zwei – Glückskekse.


© Marina Markétha Kowalski 2025-05-01

Genres
Novels & Stories
Moods
Dunkel, Emotional, Hoffnungsvoll, Inspirierend
Hashtags