Gönne dich dir selbst!

Matthias Strolz

by Matthias Strolz

Story

„Was ist jetzt wichtig? Was tut jetzt gut?“ Diese Fragen stellen sich derzeit viele Menschen. Die Antworten darauf sind so zahlreich wie wir Menschen unterschiedlich. Doch möchte ich einen Fixstern nominieren, der uns gut durch schwierige Zeiten führen kann: die Selbstfürsorge.

Dürfen wir uns an den Blumen erfreuen, auch wenn die Gesamtlage schwierig ist? Dürfen wir lachen und tanzen, auch wenn das Leid vielerorts Einzug hält? Dürfen wir die Sonnenstrahlen genießen, auch wenn die Tagesnachrichten bedrückend sind? Ja. Wir dürfen nicht nur, wir sollen. Wer nicht genießt, wird auf Dauer ungenießbar. Wer keine Freude empfindet, kann auch keinen Leidenden trösten. Wer die Liebe verweigert, verliert seine Lebendigkeit. Nur wenn wir gut in Kontakt mit uns selbst sind, werden wir Kraft, Inspiration und Unterstützung für andere sein können.

Wenn wir uns liebevoll um uns selbst kümmern, kümmern wir uns gleichzeitig um alle anderen. So wie die Selbstliebe die Basis für gelingende Beziehungen ist, so legen wir mit Selbstfürsorge das Fundament, um uns kraftvoll in die Gemeinschaft einzubringen. Ein Virus hat uns neue Verantwortungen und Einschränkungen gebracht. Auch viele Sorgen. Wir sind in der Pflicht, einen Lebensrhythmus zu finden, der uns in guter Balance und in Verbindung mit uns selbst hält. Das ist essenziell auch für die körperliche und geistige Gesundheit.

Im November 2018 zog ich mich für eine Fastenwoche ins Kloster Pernegg in Niederösterreich zurück. Nach einigen Jahren Pause war ich endlich wieder hier – für einen Einkehrschwung bei mir selbst. Wellness für Körper, Geist und Seele. Ein „Zu-mir-Kommen“. Ich suchte nach meinem Abschied aus der Parteiführung und dem Parlament vor allem Ruhe und Erholung.

Mitte der Woche führte uns Pater Sebastian durch das Kloster. Wir standen im Karner, einer Kapelle, die früher zur Aufbewahrung von Gebeinen genutzt wurde. Er gratulierte uns zur Einkehr und mahnte: „Jawohl, gönne dich dir selbst! Das ist der Auftrag an uns. Der Ordensgründer Bernhard von Clairvaux hat das schon vor 1000 Jahren an seinen ehemaligen Schüler geschrieben, an den Papst.“

Dieses „Gönne dich dir selbst!“ hallte laut nach. Ich begann den erwähnten Brief zu recherchieren. Ein herrliches Stück. Wir können es zur Kunstfertigkeit machen, bewusst und positiv auf die Beschaffenheit unseres Alltags einzuwirken, meinte von Clairvaux. „Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als dass sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht landen willst“, schrieb er an Papst Eugen III., seinen früheren Schützling. Wir sollen üben, zu uns selbst gut zu sein: „Wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft. Aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.“

© Matthias Strolz 2020-08-02

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