Goldmarie und Pechmarie

Krista Smól

by Krista Smól

Story

Das Knarren vom alten Parkett, gefolgt von rhythmischem Trampeln, hallt durch die menschenleeren Flure im obersten Stock eines altmodischen Gebäudes und lässt den sperrigen Boden leicht vibrieren. Der Geruch von Bodenpolitur und Flieder liegt noch leicht in der Luft, bevor er vom hartnäckigen Schweiß übertüncht wird. Abwechselndes Stöhnen und schweres unkontrolliertes Atmen erfüllt den großen verspiegelten Raum, in dem sich ein Dutzend kleiner Tänzer befinden. Aufgesetzte Fröhlichkeit spiegelt sich in ihren schmerzlichen Gesichtern wider und doch wird unter den scharfen Augen der Trainerin nicht ein Muskel verzogen. Die Maske aufrecht halten, wie eine Feder durch den Raum gleiten, in absoluter Schwerelosigkeit.

Ein lautes Klatschen in die Hände und das aufgeheizte Klavier verstummt endlich und gebietet den kleinen Tänzern einen Moment der Erholung. Stocksteif, den Körper bis in die kleinsten Fasern angespannt, stehen sie in Reihe da – die eine Hand fest an der Stange, die andere weit über den Kopf gestreckt, mit den Beinen fest auf dem Boden, verankert in ihrer erlernten Endposition.

Der strenge Blick der Trainerin wandert durch die Reihen und scheint jeden ihrer Schüler bis ins Mark zu durchdringen. Ihrer eisernen Miene lässt sich nicht einer ihrer Gedanken entlocken. Langsam schreitet sie an ihren Schülern vorbei, beäugt jeden einzelnen nochmal mit schärfster Intensität, ehe sie den einen oder anderen beiläufig auf die Schulter klopft, woraufhin dieser mit gesenktem Blick von der Tanzfläche zu den Bänken davongeht.

Hoffnungsvoll atmet ein Mädchen mit goldblonden Locken und großen leuchtenden Augen auf, als die Dame an ihr ohne ein Schulterklopfen vorbeizieht. In diesem Augenblick weiß sie, dass sie es geschafft hat. Eine Runde weiter, denkt sie sich und kann ihre aufflammende Begeisterung kaum zügeln. Endlich würde sich der harte Unterricht auszahlen, für den ihre Mutter sich eine zweite Arbeitsstelle gesucht hat.

Die restlichen Tänzer setzen sich auf die Bank und werfen den Übriggebliebenen neidvolle Blicke zu. Mit einer Handbewegung erlöst die Dame die zwei Verbleibenden aus ihrer Pose. Blitzschnell reihen sie sich vor der Dame auf – den Blick voller freudiger Erwartung erhoben. Ausdruckslos mustert die Dame ihre beiden Sprösslinge und schließt dann ihre Augen, um sich einen Moment zu besinnen.

Ein stummes Nicken, dann öffnet sie die Augen und blickt entschlossen die beiden Mädchen vor ihr an. Die Spannung scheint zum Greifen nahe.

Goldmarie!

Das kleine Mädchen ist kurz davor, euphorisch aufzuspringen, doch schlussendlich zeigt die Hand nicht auf sie. Der Schmerz und die Müdigkeit ihres kleinen Körpers werden ihr schlagartig bewusst. Hitze steigt ihr zu Kopf und lässt sie erschöpft zu Boden sinken. Und während die eine sich über die Rolle freut, die ihr hätte zuteil sein sollen, fällt sie in ein pechschwarzes Loch.

© Krista Smól 2022-07-27

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