Die letzten Tage und Wochen haben in mir immer wieder massives Kopfschütteln und Unverständnis hervorgerufen. Wir leben im 21. Jahrhundert und fast jeden Tag denke ich, ein Großteil steckt noch im Mittelalter fest.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem das ICH ICH ICH ICH vor allem anderen steht. Dieser Ruf nach dem ICH erschüttert mich immer wieder aufs neue. Österreich zuerst, Deutschland zuerst, USA zuerst, Großbritannien zuerst. Ich bekomme das Gefühl, wir leben in einem grenzenlosen Egoismus, in dem nur die eigene Identität bzw. die eigene ethnische Zugehörigkeit zählt.
Jedes Wissen und Verständnis für andere ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Scheinbar greift der Coronavirus nicht nur die Lungen an, sondern schaltet auch einen Großteil der rational funktionierenden Gehirnregionen aus. Ich habe das Gefühl, das auch die sogenannte gebildete Bevölkerung des 21. Jahrhunderts sich manchmal nach einer Diktatur sehnt, in der sie einfach nur Befehlsempfänger ohne eigene Gedanken ist.
Wir bewegen uns aktuell in eine für mich beunruhigende Richtung. Angst schürt Egoismus, steigender Egoismus führt oft zu Nationalismus. Und wir wissen alle was extremer Nationalismus in Europa vor allem im vorigen Jahrhundert angerichtet hat.
Mir ist völlig klar, das die aktuelle COVID Situation in Österreich und Europa wichtigstes Thema ist. Aber bei all den Menschen, die an diesem Thema arbeiten kann ich mir nicht vorstellen, das keine anderen Gedanken und Entscheidungen mehr Platz haben. Unsere führenden Politiker beziehen meiner Meinung nach ein Gehalt in einer Größenordnung, das auch in Krisensituationen mehr als nur einen Gedanken zulassen können muss.
In Krisensituationen muss es Politikern möglich sein, weiter als nur bis zum Ende der Woche zu denken. Wenn sie das nicht schaffen, dann sollten sie sich dringendst Gedanken darüber machen, ob sie den richtigen Job haben. Viele der aktuell handelnden Personen sind gelernte Politiker und haben noch nie unter Zeitdruck arbeiten müssen. Wir als Bevölkerung sollten bei zukünftigen Wahlen darauf schauen, welchen beruflichen Hintergrund ein Kandidat, den ich wählen kann, hat.
Wo bleiben die weiteren Themen dieser Zeit? Niemand erlaubt sich scheinbar den Gedanken an das unfassbare Elend das in den Flüchtlingslagern in Griechenland an der Tagesordnung steht. Niemand thematisiert mehr Verfolgung auf Grund von freier Meinungsäußerung (z.B. Julian Assange). Wenn jemand andere Themen als Corona auf das Papier bringt, wird diese Person angefeindet.
Wo sind wir denn, das wir nur noch an ein Thema denken dürfen? Es gibt Menschen, die ein wenig weiter als nur bis morgen zu denken im Stande sind. Wer das nicht begreifen kann, soll bitte daheim auf sein Klopapier aufpassen und Anfeindungen sein lassen.
Lichtblick für mich sind aber auch die vielen Menschen, die helfen unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Danke an all diese Menschen.
© Bernhard Zebedin 2020-03-22