Haarige Angelegenheit

>Die Haare sind der Schmuck der Frau!<

Unzählige Male habe ich diesen Satz von meiner Oma gehört. Für sie müssen die Haare das Gesicht umspielen oder noch besser über die Schultern & den Rücken fallen.

Mein Ex hatte auch klare Vorstellungen:

>Eine Frau mit kurzen Haaren ist unsexy!<

Dass er mich anfangs trotz kurzen Haaren attraktiv fand, hatte er wohl vergessen. Doch aus Liebe zu ihm, habe ich meine Haare wachsen lassen. Mir war es ehrlich gesagt egal, ob sie nun lang oder kurz waren – ich hatte noch nie eine emotionale Bindung zu ihnen. 8 Jahre später reichten sie mir bis zur Mitte des Rückens & ich war seit über einem Jahr alleine.

Ich hatte das Jahr damit verbracht mich wieder zusammen zusetzen. Wie ein Puzzle, dass vom Tisch gewischt wurden, lag ich verstreut. Die Teile waren wieder an ihrem Ort & ich zufrieden, so wie es war. Ich hatte mich verloren & wieder gefunden. Eine Sache behagte mir jedoch nicht, im Spiegel blickte mir stets eine Fremde entgegen. Hübsch war sie, keine Frage. Mädchenhaft & brav. Lange kam ich nicht darauf, was mich eigentlich störte. Eines Morgens begriff ich & fasste einen Entschluss.

Als ich auf dem Sessel saß, prägte ich mir die Frau im Spiegel ein. Sie wirkte müde & irgendwie kränklich. Ihre Augen waren stumpf. Aufmerksam beobachtete ich, wie Strähne um Strähne neben mir auf den Tisch gelegt wurden. Schließlich begann der Rasierer zu surren & die Schere machte ‘Schnipp, Schnapp’. Während die Haarreste über meine Wangen rieselten, spürte ich, wie mir immer leichter ums Herz wurde. Nach 45′ war das Werk beendet. Ich blickte in den Spiegel & sah MICH.

Frech leuchteten meine großen grünen Augen mir entgegen. Sie hatten sich hinter den langen Haaren versteckt, doch jetzt waren sie im Fokus. Beim Betreten des Salons wirkte ich brav & farblos, doch jetzt hatte mein Gesicht Femininität. “Oma lag komplett falsch”, ging es mir durch den Kopf. Ich hatte mich jahrelang hinter meinen Haaren versteckt.

Als ich tags darauf in die Arbeit kam, wurde auch mein Ex widerlegt, denn es herrschte geschlechterübergreifende Begeisterung.