halt mich fest, lass mich nicht los

Alexandra Vogel

by Alexandra Vogel

Story
Stuttgart 2023

Fatu genießt es, dass sie seit dem Spülmaschinen-Einbau quasi in einer WG wohnt. Auch Elif ist immer öfter mit Leon, Kerem und Tim in Fatus Wohnung oder mit Fatu in der WG. Neben ihrem Sinn für trockenen Humor teilen sich die fünf auch ihr Bedürfnis nach Nähe. Hand- und Kopfmassagen sind für sie so selbstverständlich wie tiefe Umarmungen. Solche, die länger als eine Sekunde gehen, sondern eher ungefähr fünf und man sich so verbunden und geerdet fühlt wie nach einer Stunde im Wald. Fatu ist so dankbar dafür, denn Zeit mit den Jungs bedeutet immer, dass sie ihren Nähespeicher aufladen kann. Am liebsten mit Leon. Denn Leon… seine Berührungen versetzen ihr immer wieder regelrechte Stromschläge. Körperberührungen, egal ob es in einer romantischen oder freundschaftlichen Beziehung ist, sind für Fatu so lebenswichtig wie Wasser trinken. Ohne fühlt es sich für sie an wie austrocknen. Skin hunger. Vor allem in ihrer PMDS Phase fühlt sie sich schnell leer, sehnt sich nach Nähe und achtet daher sehr darauf, dass ihr Nähespeicher durch schöne Berührungen gefüllt wird. Zu oft hatte sie in der Vergangenheit aus lauter Gier ungesunde, teils übergriffige Begegnungen mit Männern, die ihr schadeten.

Leon und Fatu stehen an der Haltestelle und warten auf den Bus zur Uhlandshöhe. “Leeeooon, kannst du mich lange umarmen? Mein Nähespeicher ist leer.“ Zerknirscht, schüchtern, fragend schaut sie zu ihm rüber. Zyklustag 24 macht ihr zu schaffen. Leon sagt nichts, schaut nur. Warm, sanft, ruhig. Dann lächelt er, streckt eine Hand nach Fatu aus und zieht sie zu sich. „Klar!“ In Echtzeit müssen es Sekunden sein, bis sie sich in seine Arme einwickelt und in die Umarmung fallen lässt. Bei ihr aber war Zeitlupe. Umarmungen mit Leon fühlten sich in den letzten Wochen irgendwie magisch an. Auch diese hier, es fühlt sich an wie verzaubert werden. Das ist nicht nur irgendeine Umarmung zwischen Menschen, die miteinander abhängen, das war kurz vorm Feuerwerk. Der Countdown zwischen beiden liegt schon länger in der Luft. ‘Halt mich fest, lass mich nicht los!’, betet Fatu zu allen Göttinnen des Universums. Mit geschlossenen Augen steht sie in Leons Armen verschlungen und hofft, dass er das Beben in ihrer Brust nicht spürt. Andererseits – wie könnte er nicht?
Langsam schiebt er Fatu von sich, legt vorsichtig beide Hände um ihre Ohren, streichelt mit den Daumen sanft ihre Wangen und küsst ihren kahlrasierten Kopf. Ihre smaragdgrünen Augen kommen mit Glatze noch viel besser zur Geltung, funkeln viel mehr. Wenn er in ihre Augen sieht, war es jedes Mal, als würde ein Licht angehen, eins von den warmen, dunkelgelben Lichtern, die mit 2.500 k. “Besser?” Fatu nickt. “Okay. Wir müssen etwas aufpassen, du saugst mich sonst aus und ich kann so schnell nicht mehr Nähe nachproduzieren, so gierig wie du immer bist”, ergänzt er mit einem schelmischen Augenzwinkern. Fatu runzelt ihre Nase und streckt ihm die Zunge raus. “Haha. Blödmann.” Leon grinst und legt ihr den Arm um die Schultern, den Blick auf den Bus gerichtet, der gerade vor ihnen anhält. “Du weißt, dass ich immer genug Nähe für dich habe, oder?” Das Kribbeln, das auf Fatus Kopfhaut beginnt, zieht sich langsam über ihren ganzen Körper bis zu ihren Zehenspitzen.

© Alexandra Vogel 2023-08-27

Genres
Novels & Stories, Self-help & Life support
Moods
Emotional, Informativ, Inspirierend
Hashtags