Hanami und Momijigari

Christine Sollerer-Schnaiter

by Christine Sollerer-Schnaiter

Story
Japan 2023

Ich war nicht zur Kirschblütenzeit dort und werde es wohl nie sein. Im Frühling wird Japan von Millionen Menschen überrannt und auch die Japaner selbst sind unterwegs um ein wundersames Fest zu feiern. Nicht minder gewürdigt wird im Herbst die rote Laubfärbung.

Hanami – ‘Blüten betrachten’, ist die japanische Tradition, in jedem Frühjahr mit sogenannten ‘Kirschblütenfesten’ die Schönheit der in Blüte stehenden Kirschbäume zu feiern. Die japanische Kirschblüte (sakura) blüht je nach Gegend in Japan von Ende März bis Anfang Mai. Über den zeitlichen und geografischen Verlauf der lokal etwa zehn Tage dauernden Blüte wird in den Medien berichtet. Dann reist man mit der Blüte von Süden nach Norden. Die Aspekte der Schönheit und der Vergänglichkeit sprechen die Menschen dabei besonders an. Ohne Früchte zu tragen, lebt die japanische Kirsche gewissermaßen einzig für das wenige Tage im Jahr andauernde Erblühen in überragender Schönheit.

Fast alle Bewohner Japans feiern Hanami mit Freunden, Kollegen oder Familie in einem Park. Bento-Boxen (Picknick) und oft reichlich Bier oder Sake sowie eine Unterlage, um auf dem Boden zu sitzen, zählen zu den Zutaten, mit denen man sich bei und unter Kirschbäumen in der Stadt und auf dem Land versammelt.

Dasselbe wiederholt sich im Herbst in umgekehrter Reihenfolge. Koyo oder Momoijigari, die japanische Laubfärbung, setzt unterschiedlich ein. Momiji ist das rote Herbstlaub und kari heißt jagen – also den roten Blättern nachjagen. Wie lustvoll war das mit meinen Enkelkindern in unserem Garten oder im Park. Ein besonders schönes rotes Ahornblatt ist ein Glücksbringer. Dadurch, dass Japan sich innerhalb mehrerer Klimazonen befindet, beginnt der Herbst im Norden des Landes und breitet sich daraufhin nach Süden aus. Erste Verfärbungen durfte ich auf meiner Reise Anfang Oktober erleben. Die volle Pracht entfaltet sich erst gegen Ende Oktober. Bilder zeugen von feuerroten Landschaften, aus denen das Gelb des Ginko heraus leuchtet – es muss ein bezauberndes Farbenspiel sein. Die Japaner pflanzen nur für das Auge jede Menge Kirsch- und Pflaumenbäume Ginko und Ahorn, die alle keine Früchte tragen, sondern nur der Schönheit verpflichtet sind. Die Herbstsaison ist eine Zeit der Reflexion und Selbstbeobachtung, da die Veränderung der Blätter die Vergänglichkeit aller Dinge symbolisiert. Man lässt sich von der Anmut berühren, mit der die Bäume ihre Blätter loslassen, und der Erhabenheit, mit der sie kahl dem Winter entgegenblicken. Es ist eine Erinnerung daran, dass das Leben, wie die Jahreszeiten, ein Kreislauf von Geburt, Wachstum, Verfall und Erneuerung ist. Was für ein Vorbild!

Als ich nach Hause kam, war unser Ahorn bereits rötlich gefärbt. Noch nie habe ich die Herbstfärbung mit soviel Bewusstheit erlebt. Den Herbst habe ich wohl schon immer geliebt und jetzt ist er mir noch wertvoller. Ich freue mich auch schon auf die Blüte der japanischen Kirsche in unserem Garten und werde sie mit neuen Augen sehen.

© Christine Sollerer-Schnaiter 2024-02-10

Genres
Novels & Stories, Travel
Moods
Emotional, Hoffnungsvoll, Informativ, Inspirierend, Reflektierend