Hausfreunde

Andrea Weiss

by Andrea Weiss

Story

Hausfreunde zählen in ihrer Herstellung zu den unkompliziertesten Bäckereien, die ich kenne. Eier und Zucker aufschlagen, die anderen Zutaten dazu, alles aufs Backblech streichen, nach dem Backen in Ecken schneiden – fertig!

Hausfreunde sind in ihrer Herstellung so einfach, dass sich sogar meine Oma jedes Jahr daran erprobte.

Sind die meisten Omas dafür bekannt … was sage ich … berühmt!, die besten Kekse und Kuchen der Welt zu backen, so stimmt das bei mir nur für eine Oma, die war sogar Köchin. Die Oma mütterlicherseits war anders. An einen von ihr selbst gebackenen Kuchen kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Lieber sparte sie von ihrer Mindestrente etwas ab und zelebrierte es, sich in einer Konditorei ab und zu ein besonders gutes Stück zu leisten, das sie dann feierlich mit mir teilte.

Auch punkto Verköstigung war sie anders als andere Omas. Bei ihr war es nicht notwendig, den unerwünschten Nachschlag energisch abzuwehren. Ihr pragmatischer Ansatz war: Wenn du Hunger hast, dann iss. Wenn nicht – dann nicht. Entsprechend einfach war auch immer ihre Speiseplangestaltung. Viel lieber, als ihre Zeit in aufwändiges Kochen und Backen zu investieren, las sie – Zeitungen und Bücher, wobei sie bei allem sehr auf Qualität bedacht war.

Nur ganz am Rande erwähnte sie, dass sie als junge Frau auch selber Bücher verfasst hatte. Diese Zurückhaltung beruhte nicht auf Bescheidenheit, sondern eher darauf, dass sie wohl nicht besonders stolz auf ihre Werke war – es waren romantische Ratgeber für Mädchen und Liebesgeschichten. Zweck dieser literarischen Arbeit war – wie ich später verstand – weniger ihre Selbstverwirklichung, als der (erfolgreiche) Versuch, Durststrecken im Familienbudget zu überbrücken. Das Einkommen ihres Mannes, meines Großvaters, war als Bildhauer zu unregelmäßig, um die laufend anfallenden Kosten der Familie selbst bei bescheidener Lebensweise verlässlich abzudecken.

Soweit ich das beurteilen kann, war sie eine der intellektuellen Frauen ihrer Zeit. Anders als bei ihren BĂĽchern war sie sehr stolz darauf, dass sie das Gymnasium abschlieĂźen konnte, obwohl sie zuhause viel fĂĽr ihre drei jĂĽngeren BrĂĽder zu sorgen hatte.

Sie war es auch, die schon sehr früh den Grundstein für meine Liebe zum Lesen und zu Büchern legte. Ein Höhepunkt war immer, wenn ich sie zu ihren sporadischen Diensten in der „Bücherstube“, einer kleinen Leihbücherei in den ehrwürdigen, mit dunklem Holz bestückten Gemäuern eines Klosters, begleiten durfte. Allein der Geruch all dieser Bücher begeisterte mich, ganz abgesehen von der Möglichkeit, in spannender Lektüre zu schmökern. Dass ich mit diesen Leihgaben besonders sorgsam umgehen musste, verstand sich von selbst. Noch heute empfinde ich es – so, wie sie es mir vermittelt hat – als Misshandlung, ein aufgeschlagenes Buch auf sein „Gesicht“ zu legen.

Oma, du entschuldigst, wenn ich an dieser Stelle etwas abrupt aufhöre zu erzählen – ich möchte jetzt Hausfreunde backen.

© Andrea Weiss 2020-12-13

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