Heidelbeeren und Tannenduft

SimsalaGin

by SimsalaGin

Story

Ich spüre ihn noch immer. Den warmen Sommerwind, der mir den Duft von Tannennadeln um die Nase weht. Die angenehme Frische des Waldes, während wir nach dem sichersten Weg durchs Dickicht suchen. Unsere Füße tragen uns immer weiter rein in die Tiefen des Böhmerwalds an den Platz, den du schon als Kind aufgesucht hast. Deine Geschichten von damals lassen mich staunen. Nicht vorstellbar, wie viel du gearbeitet hast, was du schon alles erlebt hast. Heute noch, denk ich gern daran. Erinnere mich an deine Weisheit, mit der du mich geprägt hast. Ich erinnere mich an die Schnur, die du um deine Hüfte gebunden hast und das blecherne Häfen daran. In der einen Hand trägst du einen Kübel mit dem Beerenkamm darin, den dein Papa, mein Urgroßvater, selbstgemacht hat. Vor kurzem erst kamen wir darüber ins Gespräch, der Kamm erfüllt selbst jetzt, nach all den Jahren, noch seinen Zweck. Eine Stunde Fußweg ist mir damals wie eine Weltreise vorgekommen. Ich weiß noch genau, wie schwer meine kurzen Beine danach waren. Doch der Aufstieg hat sich gelohnt. Vor uns erstreckte sich ein Paradies voll wunderschön grüner Heidelbeerbärsträucher. Ich weiß noch, wie sehr ich es liebte, inmitten der Stauden zu hocken und mir eine Beere nach der nächsten in den Kindermund zu stopfen. Finger und Lippen sind blau eingefärbt gewesen, oft auch das Gewand. Doch das hat uns nicht gestört, dich nicht und mich noch weniger. Schön war´s und gut. Dass dein Kübel am Ende voller sein würde, als das kleine Häfen, das ich mitgebracht hatte, war nicht verwunderlich. Stundenlang gab´s da nur dich, mich und einen Haufen schwarzer Beeren. Erinnerst du dich noch an den Heimweg Oma? Daran, dass mein weißes Häfen am Ende doch wieder leer war? Den Proviant hab ich gebraucht, ist der Weg doch so mühsam gewesen. Zuhause angekommen, hast du mich zum Gesicht waschen geschickt. Zurück in deiner Stube, hast du schon in der Küche hantiert. Die Beeren mussten gewaschen werden, Blätter und Käfer hast du sorgfältig aussortiert. Die meisten Schwarzbeeren wurden eingefroren, doch eine Handvoll hast du noch für´s Mittagessen gebraucht.

Mir läuft jetzt noch das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an deine Wespennester denke. Oft hab ich dir dabei zugeschaut, wie du den Erdäpfelteig ausgerollt hast. Du hast mich ermahnt, nicht zu naschen und doch hab ich jedes Mal noch ein paar Beeren erwischt, bevor´s auf dem Teig verstreut worden sind. Zucker und Zimt haben nicht fehlen dürfen. Am Ende haben mich die Wespennester immer an ein paar Schnecken erinnert, die im Schmalz schwitzten. Das warten, bis das Essen endlich auf den Tisch gekommen ist, ist immer eine Qual gewesen. Doch die Warterei war schnell vergessen, als die letzte Teigkruste aus der Pfanne gekratzt worden und mein kleines Herzerl vor Glückseligkeit übergelaufen ist. So wie heute noch. Weil´s bei der Oma immer noch am Schönsten ist.

© SimsalaGin 2022-05-28

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