Heiliger Abend 1945

Hannes Zeisler

by Hannes Zeisler

Story

Wie alle Kinder konnten auch wir den Hl.Abend kaum erwarten. Damit das Christkind den Baum aufputzen konnte, verbrachten wir auf Anordnung der Mutter einige Zeit am Nachmittag im Freien. Das machte uns nichts aus, denn das sehnsüchtige Warten, bis wir wieder ins Haus durften, ließ kein Kältegefühl aufkommen. Trotz der Not in diesem Jahr waren wir immer mit dem zufrieden, was unsere Eltern, vor allem die Mutter, stets unter den Baum zauberte. Was uns natürlich erst später bewusst wurde, weil wir noch ans Christkind glaubten.

Wie beneidete ich meine ältere Kusine, die mir erzählte, sie hätte das Christkind gesehen!

An diesem denkwürdigen Abend war ich besonders aufgeregt, weil mich mein Vater auf dem Pferdeschlitten mitnahm, da wir die ältere Schwester, die in Wien beschäftigt war, vom Bahnhof abholen mussten. Frau Holle hatte ein Einsehen gehabt und noch zeitgerecht genügend Schnee auf die Erde geschüttelt, sodass wir mit dem Schlitten, warm angezogen und in eine dicke Decke gehüllt, mühelos über den weichen Polster gleiten konnten. Die Stimmung war unglaublich! Kein Mensch auf der abendlichen Straße, die Straßenlaternen warfen ein goldgelbes Licht auf den glitzernden Schnee und eine wirklich himmlische Ruhe umgab uns auf der für mich so aufregenden Fahrt.

Nach endlosem Warten, wie mir schien, stieg meine Schwester endlich aus dem Zug und wir konnten die Heimfahrt antreten. Vor lauter Aufregung nahm ich die wunderbare Winterlandschaft nicht mehr wahr.

Als wir daheim eintraten, schlug uns schon der Duft der frischen Weihnachtsbäckerei entgegen. Erwartungsvoll standen meine anderen Geschwister schon vor der Schlafzimmertür. Der Christbaum war aus Platzmangel immer dort aufgestellt; zwar klein, für uns Kinder aber imposant mit seinem Engelshaar, den Zuckerwürfeln, in rotem Seidenpapier eingewickelt, und den leuchtenden Kerzen.

Wir Kinder – es waren uns sechs – hatten keine großen Erwartungen und daher immer das Gefühl, dass uns nichts fehlt. Umso überraschter war ich, als ich unter dem Baum mein Geschenk entdeckte: ein Blochwagen aus Holz mit einem hölzernen Pferdegespann davor! Ich konnte mein Glück kaum begreifen, denn mit so einem Geschenk hatte ich nicht gerechnet! Meist gab es nur praktische Dinge: selbst gestrickte Socken, warme Wollhauben und zum Spielen ein kleines Blechauto. Wie ich später erfuhr, hatte der Sohn des Nachbarn, der eingerückt und auf Heimaturlaub war, mein Weihnachtsgeschenk gebastelt.

Ich konnte mich leider nie bei ihm bedanken! Er kehrte vom Einsatz nicht mehr heim! Er war im Krieg gefallen!

© Hannes Zeisler 2020-12-02

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