Es rauscht … ist es das Blut in meinen Adern? Meine Augen sind noch geschlossen. Warm umhüllt mich die Bettdecke in meiner gemütlichen Oase. Ich bin unterwegs in einem Haus, mache einen Rundgang. Alle Jalousien ziehe ich hoch. So ist es vereinbart. Mit meiner Nachbarin. Doch komme ich in einen Raum, in dem es chaotisch aussieht. Ein Bett steht direkt vor dem Fenster. Hoch aufgetürmt liegen dicke, weiß bezogene Federbetten darauf. Ich mag gar nicht genauer hinschauen, drehe mich um und schließe leise die Tür wieder hinter mir. Das hat sie bestimmt nicht gewollt, meine Nachbarin Annegret. Dass ich diesen Raum betrete.
Es rauscht. Immer noch. Meine Augen sind immer noch geschlossen. Wo kommt das Rauschen her? Ich wühle mich aus meinen inneren Tiefen langsam an die Oberfläche. SACRED. Das Wort drängt sich auf. Von innen. Dann ein weiteres … SECRET. Sacred … aufgetaucht aus dem inneren Heiligtum. Heilig. Aus dem Verborgenen kommt es langsam ans Licht des Tages geschlichen. Secret. Das Geheimnis.
Das Rauschen. Es ist lauter geworden. Sacred secret. Heiliges Geheimnis. Ein neues Wort ploppt auf. SEKRET. Secretus. Ich blättere durch mein inneres Lateinvokabularium. Secretus. Abgetrennt. Für andere nicht einzusehen. Sekretär. Privat. Wen geht es etwas an? Mein Schreibtisch mit den Schubladen. Private Aufzeichnungen. Briefe, Notizen. Tagebücher. Ein Sekretär. Er verwaltet die inneren Vorgänge eines Betriebs, getrennt vom Außen.
Langsam steige ich auf vom Inneren ins Äußere. Das Rauschen wird deutlicher. Ich höre eine Jalousie hochgehen. Das Fenster befreit sich vom äußeren Schutz und das Rauschen schwillt an. Ein Regentag, denke ich. Oh, wie stark es regnet! Da kann ich mich nochmal umdrehen.
Aber diese Begriffe … sacred secret … Sekretär … die Jalousie meiner Nachbarin. Sie wird gerade hochgezogen. Auch sie wird jetzt ins Wetter schauen. So wie ich ins Wetter höre.
Aber das innere Rauschen hat sich noch immer nicht verabschiedet. Es rauscht in den Tag hinein. Ich bringe es mit.
Sacred. Secret. Heiliges Geheimnis. Sekretär. Privat. Abgetrennt.
Das muss ich aufschreiben, denke ich und nehme mein Notizblöckchen vom Nachttisch in die Hand, ziehe den Bleistift seitlich aus dem Gummigurt des Denkens. Notiere: sacred – secret – Sekretär – Sekret …
Sekret??? Was ist ein Sekret? – Es handelt sich um Flüssigkeiten aus dem Körperinneren.
Ein Gefühl treibt mich aus dem Bett. Während ich zur Toilette eile, um das Sekret meiner Nieren loszuwerden, denke ich, während ich den Regen vom Dachfenster rinnen sehe:
Alles Gute kommt von oben? – Heilige Geheimnisse …
Alles Gute rinnt von INNEN! Von SELBST …
© Ulrike Nikolai 2024-06-15