by neli
Eine meiner langjährigsten Freundinnen ist Buchhändlerin geworden. Geheiratet hat sie einen Buchhändler. Der Schreibname der beiden lautet auf ‚Büchler‘. (Tatsächlich!)
Jedes Mal, wenn ich auf Besuch war, wähnte ich mich im Himmel. Da gab es mannshohe Laufmeter an Büchern und die Ansage war: „Nimm mit, was immer du schleppen kannst“. Meine Güte, was war ich jedes Mal geflasht in diesem Paradies!
Klar also, dass von ihr der Tipp kam, auf ORF III ‚erLesen‘ anzusehen. Ich tat es und an den Luftschnapper kann ich mich heute noch erinnern. Hier war es ja noch paradiesischer als bei Büchlers! Ein Studio, das aus Büchern besteht (mich hat bloß gewundert, dass die Couch auf herkömmliche Art gebaut war) und zwischendrin dieser Heinz S.
Dezent nachlässig anmutende Erscheinung, locker in die Bücherherrlichkeit gestellt, den Kopf leicht erhoben, die Lider auf Halbmast (was den Schluss zuließe, dass der Mann etwas verträumt daherkommt), wurde ein literarisches Werk vorgestellt und ich war fasziniert von der Präsentation des Textes. Diese Mischung aus Freisprechen und leierndem Ablesen fand und finde ich nach wie vor ebenso unnachahmlich wie amüsant. Dann wurden die Gäste ins Studio gebeten und spätestens jetzt – das war bereits bei der ersten Sendung zu erkennen, wusste man: mit ‚verträumt‘ hat der Mann nichts am Hut. Er kann von anmaßend über einfühlsam und polarisierend bis zerstreut alles. Nach der Standardfrage „Rivella oder Rotwein?“ (beim Einschenken keimte spontan der Verdacht auf, dass der Gute in keinem seiner früheren Leben Kellner gewesen sein konnte) gab es dann den Hinweis auf das überlebensgroße Portrait im Hintergrund und ich schnappatmete zum zweiten Mal. Oskar Stocker ist der Maler! Wir waren an derselben Schule und ich habe ihn mit einer Mischung aus Schaudern und Bewunderung aus der Ferne beobachtet. Er revoltierte gegen das Establishment mit allem, was zur Verfügung stand. Haare, Klamotten, Verhalten. Möglicherweise ein Urzeit-Autist. Auffällig allemal, und ebenso auffällig wie markant sind diese Portraits. Wilder Strich, keine Schönmalerei, sondern bis ins ‚Eingmachte’ des Modells gehend. Auf alle Fälle passend zum Kontext.
Vor geballter Strichgewalt sitzen die Sprach- und Schreibgewaltigen. Immerhin ist Herr S. Literaturkritiker und ein unkritischer Kritiker hätte wohl seinen Beruf verfehlt. So geht auch er manchmal ganz schön in die Vollen und trotzdem steht fest: Es gibt objektivierende Kriterien, aber Kritik ist immer subjektiv. Der eine lobpreist, was der andere in der Luft zerreißt. Das gilt für Weltliteratur ebenso wie für das Konzept der schmalen Bändchen.
Apropos ‘schmale Bändchen‘ – Kolumnen sind auch nicht sehr viel breiter. (Zwinker)
Und weil die Gelegenheit gerade so günstig ist, hätte ich noch ein persönliches Anliegen an Herrn S.: falls eine Stelle als Reinigungskraft in dem Studio frei wäre, bitte sofortige Meldung an mich!
© neli 2021-06-02