Herz über Kopf

AliceBordeaux

by AliceBordeaux

Story

Die Stille um mich herum brachte mich beinahe um den Verstand. Doch es war nicht nur das fehlen von Geräuschen. Auch die Dunkelheit hatte sich bereits über alles ausgebreitet. Noch nicht einmal die Hand vor meinen Augen konnte ich erkennen. Seit meinem 18. Lebensjahr hatte ich schon keine Angst im Dunkeln mehr gehabt. Ja, ich hatte etwas länger gebraucht, um mit der Schwärze der Nacht klar zu kommen. Immerzu hatte ich größten Respekt, besser gesagt, eine Heidenangst davor gehabt. Von heute auf morgen jedoch war diese verschwunden. Nun nistete sich dieses Gefühl wieder in meinem Kopf ein. Mein gesamter Körper begann zu zittern, und eine unangenehme Gänsehaut breitete sich über meine Arme, bis in meinen Nacken, aus. Was war diese Vorahnung, die sich in mir breit machte? Langsam versuchte ich mich vorwärts zu bewegen. Aber irgendetwas hielt mich davon ab, mich von hier los zureißen. Es schien mir beinahe so, als hätte mich jemand mit einem lähmenden Fluch belegt. Ich kämpfte dagegen an, doch so sehr ich mich dagegen auch auflehnen wollte. Es gelang mir nicht, die Oberhand zu gewinnen. Wo zum Teufel befand ich mich hier eigentlich? Mein Herz begann zu rasen. Wie war ich hier her gekommen? Ich konnte mich einfach nicht daran erinnern. Erneut wollte ich mich bewegen, mir verzweifelt mit den Händen durch meine Haare fahren. Wiederum blieb der Erfolg aus.

“Hallo!”, drang eine Stimme an mein Ohr. Diese war mir nicht vollkommen fremd. Dennoch hörte es sich an, als hätte ich sie schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr zu hören bekommen. Ich wollte antworten. Irgendetwas von mir geben. Doch es war mir noch nicht einmal möglich, meinen Mund zu öffnen.

“Es ist wirklich schön, dich hier anzutreffen!”, gab diese männliche, mir bekannte Stimme von sich. Ihr Klang kam auf mich zu. Ich konnte hören, wie er immer näher auf mich zu schlenderte und dann abrupt stehen blieb. So als hätte ihn irgendetwas oder jemand aufgehalten. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Wieder machte sich dieser unangenehme Gedanke in mir breit. Wo befand ich mich hier und wie war ich hier gelandet? Und warum, zum Teufel, konnte ich mich weder bewegen, noch konnte ich dieser Stimme etwas entgegensetzen? All das wollte ich diesem Kerl entgegenschreien. Plötzlich vernahm ich ein lautes Geräusch und ein helles Scheinwerferlicht drang von irgendwo weit oben in den Raum. Dorthin, wo der Besitzer dieser männlichen Stimme stand. Blinzelnd versuchte ich mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Der Mann, welcher nur wenige Meter vor mir stand, war umgeben von einem Leuchtkegel. So als ob er der Star in dieser Show wäre. Dann fiel mir etwas an seiner Brust auf und mir stockte der Atem. Dort prangte ein klaffendes Loch, und das dort fehlende Herz hielt er in seiner nach mir ausgestreckten Hand. Mein Blick wanderte wie von selbst nach oben in sein Gesicht. Mit einer Mimik, die einer Fratze glich. Er lächelte, doch aus seinen weit geöffneten Augen liefen dunkelrote Tränen.

“Ich gehöre dir.”

© AliceBordeaux 2022-05-18

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